Daniel Everetts Buch beeindruckt. Kaum ein Sachbuch versteht es, mit wissenschaftlichen Ergebnissen so zu fesseln und dabei einen Entwicklungsroman zu erzählen. Als junger Missionar des Summer Institute of Linguistics zog Everett aus, um die Pirahã zu bekehren. Er erzählt vom Leben der Pirahã-Indianer, von seiner eigenen Familie im Urwald und seiner Arbeit als Ethnolinguist. Und er erzählt von einer umgekehrten Bekehrung: Nachdem die Pirahã nur das glauben, was sie sehen und Everett den direkten Gottesbeweis schuldig bleiben muss, gibt er sein Missionsprojekt auf und schließt sich dem Pragmatismus der Pirahã an. Realistisch und nicht ohne Selbstironie sind Everetts Schilderungen.
Nie zeigt er sich überheblich oder urteilt über seine Gastgeber. Stets bemüht er sich, die Reaktionen der Pirahã zu verstehen. Gleichwohl können nicht alle seiner Erklärungen wie etwa die These der glücklichen Habenichtse den ethnologisch geschulten Leser überzeugen. Im Plauderton widerlegt Everett fast en passant Noam Chomskys Theorie der universellen Transformationsgrammatik, die besagt, dass alle Sprachen auf einem Regelsystem aufbauen, das dem Menschen inhärent ist. Zu den Universalien der menschlichen Sprache zählt Chomsky auch die Bildung von Nebensätzen, die so genannte Rekursion. Diese fehlt den Pirahã.
Everett erklärt dies aus ihrer Jetzt-Bezogenheit. Sprache ist ein Produkt unserer Lebensweise, also von Kultur statt Natur. Das gilt für den Linguisten, für die Indianer gilt noch mehr: Voraussetzung für die perfekte Beherrschung der Sprache ist der richtige Körper, der unter anderem durch Nahrung produziert wird. Als Xahóápati, Everetts Sprachlehrer, ihn Salat essen sieht, ist er bestürzt, doch dann versteht er endlich, warum Everett das Pirahã nicht perfekt erlernt: Wer Salat isst, spricht kein Pirahã! Würde man Xahóápati befragen, ob Sprache Kultur determiniert oder umgekehrt, so bekäme man wahrscheinlich zur Antwort: Es ist der Salat, der die Produktion des richtigen Körpers verhindert und damit die perfekte Beherrschung von Sprache.
Das glücklichste Volk. Sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas. Von Daniel Everett. DVA, München, 2009.