Lebenswege | Myanmar

„Ich wusste immer, was ich wollte“

Für ihren Kampf für Demokratie in Myanmar saß Ärztin und Autorin Ma Thida lange im Gefängnis. Trotzdem hofft sie, bald in ihr Land zurückkehren zu können
Ein Porträt von Ma Thieda mit etwa 55 Jahren. Ihre Haare sind kinnlang, sie trägt einen dunklen Pullover und eine Brille und blickt rechts an der Kamera vorbei.

Die Ehe meiner Eltern war arrangiert, aber für beide ein guter Match. Meine Mutter arbeitete als Lehrerin im Osten von Myanmar, mein Vater als Buchhalter im Südwesten. Sie zogen zusammen in die damalige Hauptstadt Yangon, wo sie, wie geplant, drei Kinder bekamen.

Ich wurde 1966 als die Älteste geboren, dann folgten meine beiden Brüder. Mit drei Jahren begann ich zu lesen und machte es zu meiner Hauptbeschäftigung. Meine Leidenschaft ging so weit, dass ich es irgendwann für einen Verrat an den Büchern hielt, meine Lektüre zu unterbrechen.

Abends, wenn ich eigentlich im Bett hätte sein müssen, saß ich oft zwischen meinen Eltern und bekam einiges von ihren Gesprächen mit.

Es ging um die Armut unter dem sozialistischen Regime und darum, dass es überall an allem fehlte, um den Bürgerkrieg und um all die Zwänge, mit denen die Menschen in Myanmar damals leben mussten. Als meine Großmutter krank wurde, zogen meine Großeltern zu uns.

„Das Meditieren half mir später bei meiner Zeit im Gefängnis“

Mein Vater und mein Großvater hörten BBC. Mit meiner Großmutter stritten wir bald alle darum, wer zuerst die Tageszeitung lesen durfte. Mein Großvater hatte als Jugendlicher an Streiks teilgenommen und war deswegen von der Schule geflogen.

Er stammte aus einer reichen chinesischen Familie, lehrte mich kritisches Denken und erzählte mir Geschichten über seine Rebellion gegen die britische Kolonialmacht. Mein Vater brachte mir derweil bei, eine gute Bürgerin zu sein.

Meine Mutter und meine Großmutter waren wiederum der Religion zugeneigt und brachten mir Buddhas Lehren nahe. Das Meditieren half mir später bei meiner Zeit im Gefängnis.

In der Mitte des Bildes steht Ma Thida in jungen Jahren mit einem Mikrofon in der Hand. Sie trägt ein langes rotes Gewand. Um Ma Thida stehen zwei Männer und eine Frau.

Ma Thida spricht bei einer Demonstration

Als Kind war ich oft krank. Einmal musste ich für längere Zeit ins Krankenhaus und mein Zustand wurde nicht besser.

Eines Tages fragten drei Mönche, die regelmäßig zu uns zum Essen kamen, nach mir. Als sie von meinem Zustand erfuhren, rieten sie meinen Eltern, meine Medikamente zu überprüfen. Es handele sich vermutlich um gefälschte, die völlig wirkungslos seien. Und so war es.

Vielleicht entwickelte sich aus dieser Erfahrung heraus mein Wunsch, Ärztin zu werden. Mein Vater meinte, ich solle lieber als Wissenschaftlerin in die medizinische Forschung gehen, es gäbe doch genug Ärzte im Land. Aber ich wusste immer, was ich wollte.

Während des Studiums begann ich zu schreiben und meine ersten Erzählungen zu veröffentlichen. Außerdem schloss ich mich der Demokratiebewegung von Aung San Suu Kyi an, verfasste Pamphlete und organisierte Demonstrationen.

„Meine Zellennachbarin bestach die Wärter und konnte so Bücher in das Gefängnis schmuggeln“

Nachdem Kyi 1990 als Oppositionsführerin die Parlamentswahlen gewann, akzeptierte das Militärregime das Ergebnis nicht, und wir lehnten uns dagegen auf. 1993 wurde ich schließlich festgenommen und zu zwanzig Jahren Haft im Gefängnis Insein verurteilt.

Das schreckte mich nicht so sehr, schließlich waren schon einige meiner Freunde verurteilt worden, und ich nahm mir vor, Gefängnismemoiren zu verfassen. Aber im Gefängnis wurde ich krank. Die Tuberkulose, die sich normalerweise in sechs Monaten heilen lässt, dauerte zehn.

In meiner Zelle brannte Tag und Nacht das Licht, aber Bücher, Stifte und Papier waren verboten. Meine Zellennachbarin bestach die Wärter und konnte so Bücher in das Gefängnis schmuggeln.

Auf einer Straße umringt von herrschaftlichen Gebäuden mit Türmen demonstrieren viele Menschen.

Im Jahr 1988 protestieren Menschen in Yangon gegen die Regierung

In einer Plastiktüte, die sie an einer Schnur aus dem Fenster hängen ließ, schickte sie mir einige Bände, die ich nachts las und morgens wieder in die Tüte legte. Besonders schlimm machte mir im Gefängnis die verrohte und vulgäre Sprache zu schaffen, die Wärter und Kriminelle untereinander pflegten.

Dank der Unterstützung von PEN International und Amnesty International kam ich schließlich frei – nach fünf Jahren, sechs Monaten und sechs Tagen wurde ich entlassen.

Bis 2021 blieb ich in Myanmar, reiste aber viel ins Ausland, besonders weil man mir vorgeschlagen hatte, mich für den Präsidentenposten des PEN Myanmar zu bewerben. Dann wurde das Regime immer brutaler, es ließ Menschen aufgrund von Nichtigkeiten umbringen.

„Ich möchte als Chirurgin arbeiten oder weiter schreiben, im besten Falle beides“

Ich beschloss, für eine Weile außer Landes zu gehen. Da ich ein gültiges Schengen Visum hatte, verbrachte ich zunächst drei Monate in Prag und ging dann mit einem Stipendium an die Yale University in den USA. Inzwischen habe ich vierzig Länder besucht.

Ich werde von Literaturfestivals eingeladen oder von politischen Organisationen und lese entweder aus meinen Gefängnismemoiren „Prisoner of Conscience: My Steps through Insein“ oder ich spreche über Menschenrechte in Myanmar.

Seit einigen Monaten bin ich in Deutschland und hoffe, demnächst in mein Land zurückkehren zu können. Ich möchte als Chirurgin arbeiten oder weiter schreiben, im besten Falle beides. Leider haben wir es vor zwanzig Jahren nicht geschafft, das Militärregime zu stürzen.

Im Moment aber sieht es für die Militärjunta nicht gut aus. Vielleicht gelingt es nun der jüngeren Generation.

Protokolliert von Stephanie von Hayek