Umwelt | Marokko

Bedrohte Oasen in der Wüste

Oasen sind perfekt an die Wüste angepasste Ökosysteme, die unter Trockenheit und Misswirtschaft leiden. Der Fotograf M’hammed Kilito begleitet Menschen, die sie zu schützen versuchen
Einige junge Männer baden in einem Teich, umgeben von einem Felsen und dichtem Gebüsch

Wasserspiele am Staudamm Oued Sayad bei der Oase Taghjijt in Südmarokko

Interview von Gundula Haage

Herr Kilito, in Ihrer fotografischen Langzeitarbeit „Before it is gone“ dokumentieren Sie seit mehreren Jahren das Leben in marokkanischen Oasen. Was fasziniert Sie daran?

Für mich sind Oasen sehr poetische Orte. Weite Teile Marokkos sind extrem karg und trocken. Wenn man durch das Land fährt, kann es vorkommen, dass man stundenlang nichts als Wüste sieht. Aber dann, ganz plötzlich, taucht ein Flecken Grün am Horizont auf, die Farbe des Lebens. Und wenige Minuten später findet man sich inmitten dieses unglaublichen Ökosystems wieder, umgeben von Wasser, Palmen und Früchten.

Stundenlang nichts als Wüste – und plötzlich taucht ein Flecken Grün am Horizont auf

Für mich ist es jedes Mal so, als käme ich ins Paradies. Absurderweise hatte ich lange gar keine Ahnung davon, wie schön Oasen sind. Menschen aus dem Ausland haben ja oft romantische Bilder von Marokko vor Augen und denken an Kamele, Oasen und Wüstenreisen. Ich lebe in Casablanca. Und wie viele Marokkanerinnen und Marokkaner kannte ich mich außerhalb der Stadt wenig aus.

Die erste Chance, etwas anderes zu sehen, bot sich mir im Jahr 2016, als ich im Rahmen einer Kunstresidenz für eine Weile in einer Oase leben konnte. Und als ich erst einmal dort wohnte, war ich hin und weg.

Was macht diese Orte so besonders?

Oasen sind perfekt an die Landschaft angepasst – und für den Menschen sind sie eine der nachhaltigsten Lebens- und Wirtschaftsformen in der Wüste. Ein wesentliches Merkmal von Oasen ist natürlich, dass es dort Wasser gibt. Irgendwann siedelten sich Menschen an diesen Orten an. Sie begannen Palmen zu pflanzen und entwickelten Bewässerungssysteme.

Palmen sind extrem wichtig, weil sie sehr tiefe Wurzeln schlagen können und bis zu vierzig Meter hoch werden. Stehen Palmen dicht beisammen, dann bilden ihre Blätter ein schattiges Dach. Geschützt vor der sengenden Sonne können so auch andere, kleinere Pflanzen gedeihen und bieten Tieren ein Zuhause und den Menschen ein Auskommen.

„Die besondere Mischung an Flora und Fauna in Marokkos Oasen ist weltweit einzigartig“

Die ganz besondere Mischung an Flora und Fauna, die sich über die Jahrhunderte in Marokkos Oasen entwickelt hat, ist weltweit einzigartig. Darum waren sie hierzulande auch immer Orte des blühenden Lebens und des Austauschs.

Welche Rolle haben die Oasen in der marokkanischen Geschichte gespielt?

Die großen Herrschaftsdynastien Marokkos entstammen alle Oasen. Außerdem waren diese Orte immer wichtige Handelsknotenpunkte und spielten für kulturellen Austausch und Begegnungen eine große Rolle.

Sie waren Orte des Wissens. Völlig zu Recht sind viele Menschen, die dort leben, bis heute stolz darauf. Ich wollte diese Orte fotografisch dokumentieren, bevor es zu spät ist. Mein Projekt heißt „Before It’s Gone“ („bevor sie verschwunden sind“). Denn heute sind diese grünen Inseln der Wüste in ihrer Existenz bedroht: durch den Klimawandel, durch Ressourcenkonflikte und die Tatsache, dass immer mehr junge Menschen wegziehen.

Die Imkerin Hayat steht in einem weißen Schutzanzug draußen vor Bienenkästen.

Die Imkerin Hayat kümmert sich in Skoura um die vom Aussterben bedrohten gelben Saharabienen.

Warum wenden sich gerade junge Menschen ab?

Viele halten das ländliche Leben in Oasen für rückständig und suchen ihr Glück in größeren Städten. Einige Jugendliche, die ich während meiner Recherche kennengelernt habe, erwägen eine illegale Überfahrt auf die Kanarischen Inseln, weil sie die Auswirkungen der Erderwärmung in ihrer Heimat hautnah mitbekommen.

Es mangelt an Wasser und an Jobs. Da erscheint die gefährliche Reise nach Europa attraktiv. Aber wenn alle jungen Menschen gehen, gibt es irgendwann niemanden mehr, der die Oasen instand hält und pflegt.

Nach Angaben des marokkanischen Landwirtschaftsministeriums hat das Land in den vergangenen Jahren zwei Drittel seiner 14 Millionen Palmen verloren. Ist das auch eine Folge des Klimawandels?

Das Palmensterben ist tatsächlich dramatisch. Es hat verschiedene Ursachen, die aber zusammenhängen. Der Klimawandel und die mit ihm verbundenen extremen Dürreperioden spielen wahrscheinlich die größte Rolle. 2022 war das trockenste Jahr, das in den vergangenen vierzig Jahren aufgezeichnet wurde. Es hat kein bisschen geregnet.

Wenn Dürren so lange anhalten, dann sterben selbst die Palmen, welche die Grundlage für alle weitere Vegetation bilden. Gleichzeitig sinkt der Grundwasserspiegel. Vielerorts kommt menschliche Misswirtschaft dazu. Früher waren Oasen ein Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften: die verfügbaren Wasserressourcen bestimmten, wie groß die Siedlungen werden konnten.

„Viele halten das ländliche Leben in Oasen für rückständig und suchen ihr Glück in größeren Städten. Es mangelt an Wasser und an Jobs“

Und das ist heute nicht mehr so?

Nein. Als es technisch möglich wurde, tiefere Brunnen zu graben, veränderten sich die Oasen. Mittlerweile wird dort oft eine Art Landwirtschaft betrieben, die überhaupt nicht zu den klimatischen Gegebenheiten passt. Wer genug Geld hat, bohrt seinen Brunnen heute bis 120 Meter in die Tiefe.

Auf diese Weise ist vermeintlich Wasser im Überfluss vorhanden, um Gewächshäuser mit Avocados, Bananen oder Wassermelonen zu bewässern – alles Pflanzen, die viel Wasser brauchen. Mit ihren Brunnen greifen die reichen Landbesitzenden jedoch das gesamte Grundwasser ab.

„Heute wird in den Oasen oft eine Art Landwirtschaft betrieben, die überhaupt nicht zu den klimatischen Gegebenheiten passt“

Für ärmere Bauern, deren Brunnen vielleicht nur zehn Meter tief reichen, bleibt so nichts mehr übrig. Ich habe schon viele Oasen auf diese Weise verschwinden sehen. Zuerst verdorren die Palmen, dann verschluckt der Wüstensand nach und nach alles Leben.

In meiner Fotoserie zeige ich Geisterdörfer, Kasbah nennen wir sie. Aber ich bin auch vielen beeindruckenden Menschen begegnet, die alles dafür geben, um die Oasenkultur zu bewahren.

Wie kämpfen die Menschen in den Oasen gegen die Ausbreitung der Wüste?

Viele Menschen steigen auf nachhaltige Formen der Landwirtschaft um oder nutzen neue Techniken wie die Tröpfchenbewässerung. Bei der traditionellen Nutzung von Kanälen ging durch Verdunstung immer viel Wasser verloren. Gleichzeitig gibt es Bildungsprogramme, in denen jungen Menschen erklärt wird, warum eine nachhaltige Bewirtschaftung notwendig ist.

„Es gibt viele beeindruckende Menschen, die alles dafür geben, die Oasenkultur zu bewahren“

Einer meiner Protagonisten, Hicham, ist dafür ein gutes Beispiel: Er wanderte selbst nach Frankreich aus. Nachdem er ein Jahr lang unter schwierigen Umständen in schlecht bezahlten Jobs geschuftet hatte, beschloss er, in seine Heimatstadt Guelmim zurückzukehren, die am Rand der Sahara liegt.

Heute ist er ein zufriedener junger Mann, unterrichtet an einer Schule und klärt Jugendliche darüber auf, wie sie an ihrem Heimatort selbst eine Zukunft haben können. Die spannendste Oase ist für mich vor diesem Hintergrund allerdings Skoura.

Einige junge Männer baden in einem Teich, umgeben von einem Felsen und dichtem Gebüsch

Wasserspiele am Staudamm Oued Sayad bei der Oase Taghjijt in Südmarokko

Was hat es mit Skoura auf sich?

Um zu erklären, warum diese Oase so besonders ist, muss ich kurz ausholen: Für mich als männlichen Fotografen aus Casablanca war es am Anfang schwierig, Protagonistinnen für meine Bilder zu finden.

Oasen sind meistens weit entfernt von den Städten und vielerorts sehr patriarchalisch strukturiert. Es kam beispielsweise vor, dass ich über zwei Wochen bei einem Freund zu Gast war und in der gesamten Zeit nicht ein einziges Mal seine Mutter, seine Schwester oder seine Tante zu Gesicht bekam – obwohl wir alle im selben Haus wohnten.

In der Oase Skoura war das aber ganz anders. Dort lernte ich sehr beeindruckende Frauen kennen. Viele von ihnen arbeiten dort als Imkerinnen. Sie kümmern sich um die gelbe Saharabiene, die für das Oasenökosystem als Bestäuberin essenziell ist.

Durch die Bienenzucht verdienen diese Frauen ihr eigenes Geld und sind unabhängiger von den Männern in ihren Familien. Einige von ihnen haben sich Motorräder gekauft und können tun und lassen, was sie wollen.

„Ich möchte mit meinen Bildern Menschen begleiten, die für den Erhalt ihrer Oasen kämpfen“

Hayat etwa, eine meiner Protagonistinnen ist auch Imkerin. Sie lebt mittlerweile geschieden von ihrem Mann und betreibt ein kleines, sehr gut besuchtes Gästehaus in der Oase. Damit wurde sie zum Vorbild für andere Frauen. Solche Geschichten über die Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt will ich mit meinen Bildern erzählen.

Auch heute ist Ihr Projekt noch nicht abgeschlossen. Warum zieht es Sie immer wieder in die Oasen?

Die Menschen und ihre Geschichten lassen mich einfach nicht los. Ich möchte mit meinen Bildern aber keiner untergehenden Welt ein Denkmal setzen, sondern Menschen begleiten, die für den Erhalt ihrer Oasen kämpfen. Darum recherchiere ich mittlerweile auch in anderen Teilen der Sahara.

Überall sind Oasen vom Klimawandel betroffen. Vielleicht gibt es anderswo ja neue Lösungsansätze für die Probleme, die hier in Marokko mit aller Wucht sichtbar werden.

Bunte Häuserfronten, vor denen ein Waserreservoir zu sehen ist. Vor den Häusern stehen Palmen.

Diese Häuserfronten spiegeln sich in einem gut gefüllten Wasserreservoir. Doch auch in Meski, im Südosten Marokkos, sinkt der Grundwasserspiegel.