Familie | Schweden

„Deine Kinder sind, wie sie sind“

In ihren Graphic Novels erkundet die Zeichnerin Liv Strömquist die kleinen Absurditäten des Mutterseins – und die witzigen Seiten der Elternschaft
Die Comiczeichnerin Liv Strömquist liegt mit dem Rücken an die Wand gelehnt und überschlagenen Beinen in ihrem Bett.

Das Interview führte Gundula Haage

Frau Strömquist, in Ihrer neuesten Graphic Novel geht es um Astrologie. Haben Sie die Sterne befragt, was für eine Mutter Sie werden würden?

Nein, zum Glück nicht. Aber im astrologischen Jargon über Horoskope herumzuwitzeln war mal eine Weile ein beliebter Zeitvertreib in meinem Freundeskreis. Als ich schwanger war, dachte ich plötzlich: Was, wenn mein Kind dieses oder jenes Sternzeichen wird?! Da wurde mir klar, dass ich Abstand zur Astrologie brauche – und habe damit aufgehört.

Jetzt haben Sie über dieses Thema ein ganzes Buch geschrieben. Was fasziniert Sie an Horoskopen und Co? 

Die Astrologie wurde im Laufe der Zeit von unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft genutzt. In den 1940er-Jahren war sie an der Wall Street eine große Sache. Geschäftsleute nutzten astrologische Prognosen, um Gewinne vorherzusagen. Erst später erschienen ­Horoskope in Magazinen, vor allem in Frauenzeitschriften. Als Adorno in den 1950er-Jahren seine inzwischen berühmte Studie über ­Horoskopkolumnen durchführte, stellte er fest, dass sie insgesamt ein konservatives Weltbild transportieren.

Die Ratschläge darin seien weniger von einem aufklärerischen als von einem bourgeoisen Denken geprägt: also wann man sich verlieben wird, ob heute ein guter Tag für Unternehmungen ist und so weiter. Aber in einem typischen Horoskop wird zum Beispiel nicht dazu geraten, sich von einem Partner zu trennen, wenn man in einer toxischen Beziehung feststeckt.

Man wird auch nicht dazu aufgefordert, sich gewerkschaftlich zu organisieren für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz. Zurzeit spielen Horoskope in den sozialen Medien eine große Rolle. Aber trotz aller hippen Aufbereitung schwingt auch dort oft eine konservativ-verharrende Einstellung mit.

Auf Instagram gibt es derzeit auch einen Trend von sogenannten Momfluencern, die sich als ideale Hausfrau und Mutter präsentieren. Was halten Sie davon?

In solchen Bildern von Mutterschaft, mit denen irgendwelche Traditionen wiederbelebt werden sollen, zeigt sich eine Romantisierung des Hausfrauendaseins. Ich glaube, die Sehnsucht danach rührt daher, dass viele junge Mütter heute gestresst sind und das Gefühl haben, bestimmte Erwartungen nicht erfüllen zu können. Nie zuvor in der Geschichte wurde von Frauen so selbstverständlich gefordert, Vollzeit zu arbeiten und zugleich rund um die Uhr Mutter zu sein.

Das passt oft nicht zusammen. Die Zeit ist zu knapp. Als Reaktion darauf beschwören manche eine vermeintlich ideale Vergangenheit, eine Situation, die es so aber nie gab. In der Vorstellung ist es reizvoll, sich statt auf viele Baustellen gleichzeitig nur auf eine Sache zu konzentrieren. Und diese inszenierten Bilder auf Instagram von schönem Essen und süßer Kinderkleidung gehen Hand in Hand mit der Kommerzialisierung von Mutterschaft, die nicht nur in Schweden stattfindet.

„Es ist fast so, als müsste man mehrere Leben gleichzeitig leben“

Worin zeigt sich diese Kommerzialisierung?

Um eine gute Mutter zu sein, brauchst du diesen wirklich teuren Kinderwagen, Bio-Snacks einer bestimmten Marke und nachhaltig produziertes Spielzeug. Und bevor das Kind überhaupt geboren ist, muss man schon eine Baby Shower und eine Gender-Reveal-Party veranstalten, mit passender Deko und selbst gebackenem Motto-Kuchen und so weiter. Auch in der Popkultur lässt sich diese Vermarktung von Mutterschaft gut beobachten: Im Jahr 1991 prangte Demi Moore nackt als die erste schwangere Frau auf dem Cover der Zeitschrift „Vanity Fair“.

Davor hat man es eher versteckt, wenn man ein Kind erwartet hat. Aber heute erhöht es den Marktwert einer Prominenten, wenn sie über das Kinderkriegen, die Geburt und das Stillen spricht – und am besten noch eine Kollektion mit Schwangerschaftsmode herausbringt wie Rihanna. Ich habe gelesen, dass man sein Kind am besten vermarkten kann, wenn es zwischen ein und drei Jahren alt ist. Wenn Kinder älter werden, sind sie nicht mehr so lukrativ. Der Kapitalismus dringt in neue, einst private Bereiche vor. Ich glaube, der Erfolg von Momfluencern gründet auf dem sehr nachvollziehbaren Wunsch, diesem Druck zu entkommen, der von allen Seiten auf Frauen lastet.

Und wie entsteht dieser Druck?

Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa hat viel über Beschleunigung geschrieben. Das kann ich als Elternteil nachvollziehen, denn die Anforderungen in allen möglichen Lebensbereichen sind im Vergleich zu früheren Generationen gestiegen. Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen. Meine Mutter blieb zu Hause, bis ich elf oder zwölf war. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie auch nur einmal mit mir gespielt hätte. Von mir wurde erwartet, dass ich rausgehe und mich selbst beschäftige.

Heute haben viele den Anspruch, dass wir uns wirklich intensiv in das Leben unserer Kinder einmischen. Wir sollen auf allerhand psychologische Aspekte in unserer Beziehung zu ihnen achten und ihnen bei vielen Lebensentscheidungen helfen. Gleichzeitig soll man als Frau am Arbeitsplatz gute Leistungen erbringen, körperlich fit sein, gut aussehen, emanzipiert sein und Spaß an alledem haben. Es ist fast so, als müsste man mehrere Leben gleichzeitig leben. Auch deshalb sind in Schweden und anderswo so viele junge Frauen ausgebrannt.

Wie entkommt man diesem Teufelskreis an Erwartungen?

Als Einzelperson wird man das kaum schaffen. Dass sich Familie und Beruf nicht gut vereinbaren lassen und weiterhin patriarchale Strukturen unseren Alltag prägen, lässt sich nur durch politische Entscheidungen ändern. In unserer Gesellschaft besteht offenbar kein Interesse daran, Care-Arbeit gleichberechtigt zu verteilen.

Alles würde zusammenbrechen, wenn Kümmern, Pflegen und Erziehen plötzlich nicht mehr kostenfrei übernommen würde. Und dieses Ungleichgewicht zieht sich durch so viele Bereiche: Ich denke an den Gender-Pay-Gap, an die Rentenlücke und so weiter.

„Wir dürfen auch Spaß haben!“ 

Wie gehen Sie persönlich als Künstlerin und Mutter mit diesem Druck um?

Ich bin natürlich keine Expertin und ich habe auch keine perfekten Antworten parat. Ich wollte unbedingt Kinder haben. Aber es bedeutet extrem viel Arbeit. Als Freiberuflerin habe ich eine gewisse zeitliche Flexibilität. Aber was ist, wenn man einen schlecht bezahlten Job hat, alleinerziehend ist oder Nachtschichten arbeiten muss?

Es gibt einfach nicht genug Unterstützung, es fehlt an guten Kindergärten, Schulen und erschwinglichem Wohnraum. Meiner Erfahrung nach geht es nur, wenn man Menschen findet, mit denen man verlässlich die Verantwortung teilen kann. Ein Netzwerk an Bezugspersonen.

Und indem man von Anfang an ganz klare Regeln und Verantwortlichkeiten mit den jeweiligen Partnerpersonen festlegt. Etwa, dass man die Kinder jeden zweiten Abend ins Bett bringt und den anderen Abend frei hat. Oder dass man abwechselnd zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist – und zwar auch, wenn eine Person den vermeintlich wichtigeren Job hat.

Selbst die kleinen Aufgaben, die man die ganze Zeit im Kopf herumschwirren hat, sollte man sehr exakt benennen und aufteilen, also dass das Kind neue Schuhe braucht oder ein Geburtstagsgeschenk besorgt werden muss. All das, was wir die unsichtbare mentale Last nennen.

„Ich finde die Beziehungen, die wir zu unseren Eltern, Geschwistern und Kindern haben, wirklich interessant, denn sie haben das Potenzial, uns wachsen zu lassen“

In Ihrem Buch „I’m Every Woman“ beschreiben Sie Kinder als von Natur aus konservativ (siehe Auszug). Ist Humor ein wirksames Mittel, um die Absurditäten des Elternseins zu thematisieren?

Ich habe diesen Comic vor langer Zeit veröffentlicht, bevor ich selbst Kinder hatte. Ich mache meine Comics ganz intuitiv und baue viele Beobachtungen aus meinem Alltag ein. Grundsätzlich glaube ich schon, dass es einfacher ist, über schwierige Themen zu sprechen, wenn man lustig ist. Lachen befreit.

Als ich jünger war, bin ich manchmal zu feministischen Veranstaltungen gegangen, und ich erinnere mich, dass sich alles um Vergewaltigung, Menschenhandel und Magersucht drehte. Es war einfach extrem deprimierend. Ich finde es uns Feministinnen gegenüber nicht fair, dass wir immer diese schwere Last tragen müssen. Wir dürfen auch Spaß haben! (lacht)

Machen Sie sich manchmal Sorgen, dass Ihre Kinder aufwachsen und ganz andere Werte haben könnten als Sie? Zum Beispiel überhaupt nicht feministisch sein könnten?

Als ich Mutter wurde, bestand die größte Überraschung für mich darin, dass meine Kinder schon in der Sekunde, in der sie auf die Welt kamen, jemand waren. Sie können ganz anders sein als ich. Ich hatte immer gedacht, sie wären wie leere Gefäße, die ich mit Wissen fülle. Aber das ist einfach nicht der Fall. Du hast deine Eltern, deine Geschwister, deine Kinder, und sie sind, wer sie sind. Sie sind Teil deines Lebens, ob du es willst oder nicht.

Ich finde diese Art von Beziehungen wirklich interessant, denn sie haben das Potenzial, einen wachsen zu lassen. In anderen Bereichen des Lebens kann ich mich von Menschen distanzieren, wenn ihre Ansichten zu sehr von meinen abweichen. Es ist spannend, Kinder zu haben, die wirklich anders sind als man selbst. Dann kann man versuchen, den Standpunkt des eigenen antifeministischen Kindes nachzuvollziehen und trotz allem liebevoll zu sein.

Für mich ist das der wichtigste Aspekt des Elternseins: die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund zu stellen. So läuft es nun mal, wenn man die Verantwortung für eine sehr kleine Person trägt, die völlig von einem abhängig ist.

Das jüngste Buch von Liv Strömquist: „Astrologie“, avant Verlag, Berlin 2023