Klima | Peru

Lima, die durstige Metropole

Lima ist eine der größten Wüstenstädte der Welt. Von ihren Einwohnern haben 635.000 keinen Wasseranschluss. Der Klimawandel droht die Lage in der peruanischen Hauptstadt weiter zu verschärfen
Auf einem staubigen, steilen Berghang verteilen sich viele bunte Häuser. Sie sind alle recht einfach gebaut und klein. Tramelpfade und Treppen erschließen den Hang, es gibt keine Straßen. Nirgendwo ist eine Pflanze zu sehen. Das Wetter ist trocken aber wolkig

Um zu vermeiden, dass die Hänge von Puente Piedra im Norden von Lima unter dem Gewicht der Wassertransporter abrutschen, halten die Laster nur am Fuß des Bergs

Der Satz „Dreimal auffüllen, wir sind fünf Familien“ steht in riesigen Buchstaben auf einem Wassertank am Rande einer staubigen Piste. Mehr als ein Dutzend solcher Wasserspeicher säumen die Straße, die sich durch die Hügel des Distrikts Puente Piedra im Norden von Lima schlängelt. Die Beschriftungen richten sich an die Zisternenlastwagen, die die Viertel der peruanischen Hauptstadt ohne Wasser- und Kanalisationsanschluss mit Wasser versorgen.

Auf einer staubigen Straße mit improvisierten Häusern hält ein junger Mann einen dicken Wasserschlauch über eine große weiße Wassertonne. Aus dem Schlauch läuft Wasser in die Tonne. Nebenan steht ein älterer Mann und schaut zu

Ein Tankwagen füllt die Zisternen in Puente Piedra auf

Siempre Unidos de Villa Verde ist eine Wohnungsbaugenossenschaft, die das Wort „verde“, „grün“, nur im Namen trägt. Die Holzhäuser mit Wellblechdächern wurden auf einem trockenen Hügel errichtet, an Hängen, die beim geringsten Kontakt mit Wasser so schlammig werden, dass kein Auto gefahrlos hinauffahren kann.

Die Bewohner haben ihre Wassertanks an der flachsten Stelle der Anhöhe aufgestellt, die der Zisternenlaster erreichen kann. Von dort leiten sie das Wasser durch Schläuche und Rohre zu ihren Häusern.

Virginia Martínez Morales ist dreißig Jahre alt und wohnt seit sechs Jahren mit ihren drei Kindern in dieser Gegend. „Früher musste ich den ganzen steilen Hügel mit Kanistern hochlaufen, jetzt kann ich das Wasser immerhin durch Rohre bis vor meine Haustür leiten. Das verwenden wir zum Waschen und Kochen“, sagt sie. Mit Spülwasser gießt sie ihre drei Pflanzen, die sie in Plastiktöpfen am Leben hält.„Ich mag Pflanzen und finde einen Weg, sie zu wässern. Ein bisschen Natur ist gut für die Kinder.“ 

Sie ist eine von 635.000 Personen ohne Wasseranschluss in Lima, der zweitgrößten Wüstenstadt der Welt. Die größte ist Kairo, doch während der Nil jährlich ungefähr 500 Kubikmeter Wasser pro Einwohner liefert, bringt es der Rímac, die wichtigste Süßwasserquelle der peruanischen Hauptstadt, auf weniger als 100 Kubikmeter. Dies ist die geringste Wassermenge pro Person im ganzen Land und lässt auf einen absoluten Wassermangel schließen laut einem Bericht der Weltbank vom vergangenen Juni. 

Außerdem lebt in Lima ein Drittel der peruanischen Bevölkerung. Der Wasserbedarf der mehr als zehn Millionen Einwohner übersteigt die Kapazitäten des staatlichen Versorgungsunternehmens Sedapal. Zur Gruppe der Hauptstädter ohne Wasseranschluss kommen weitere 370.000 hinzu, die zwar einen Anschluss haben, aber weniger als sechs Stunden pro Tag auch wirklich Wasser erhalten, wie Daten der zuständigen Behörde Sunass zeigen.

Auf einem hochgelegenen Plateau steht eine Frau vor ihrem Haus und wäscht Wäsche in einer Schüssel. Neben ihr steht ein Haufen schmutziges Geschirr. Sie spricht mit einem Mädchen, das neben ihr spielt. Vor der Haustür steht ein größeres Mädchen. Vom Haus blickt man über eine größere Siedlung, am Haus hängt eine Wäscheleine mit frischer Wäsche

Virginia Martínez wäscht die Kleidung ihrer Familie mit knapp bemessenem Wasser

Die Distrikte in den Außenbezirken von Lima, vor allem die ärmsten, dehnen sich ohne jegliche Stadtplanung über den sandigen Untergrund aus. Allein im letzten Jahrzehnt bildeten sich an den Hängen von Puente Piedra 28 Viertel, inzwischen als Sektor La Grama bekannt: eine weitläufige Landschaft grauer Hügel, gesprenkelt mit Wellblechdächern und farbigen Häuserwänden. 

Ebendort befindet sich die Wohnungsbaugenossenschaft Los Condes, die 42 Familien Unterkünfte bietet, allerdings ohne Wasseranschluss, Kanalisation, Elektrizität und Grünanlagen. Einige Bewohner kommen aus Teilen der Hauptstadt, in denen sie auf zu engem Raum wohnten, die meisten sind jedoch auf der Suche nach einer besseren Arbeit aus den Andenregionen zugezogen.

„Es ist ziemlich schwierig, hier zu leben, nicht nur wegen des fehlenden Wassers. Im Winter ist es sehr neblig und kalt, im Sommer atmen wir wiederum trockenen Staub ein. Der legt sich das ganze Jahr über auf meine Möbel, das Essen, die Spielsachen meiner Kinder. Ich putze und wische dreimal am Tag, trotzdem bleibt es immer staubig“, sagt Jessica Aponte.

Ihr jüngster, zweijähriger Sohn wurde in Los Condes geboren und leidet wegen einer Stauballergie unter Hautausschlag. Jessica muss teure Medikamente und Salben gegen den Juckreiz kaufen. 

Da es keine Kanalisation gibt, schütten die Familien das Schmutzwasser auf die Straße. Das klingt nach einer guten Maßnahme zur Staubbekämpfung, ist es aber nicht. Bei zu großer Feuchtigkeit steigt wegen des Sand- und Schotterbodens das Risiko für Erdrutsche. Immer wieder passieren Unfälle. Etwa am vergangenen 3. August, als der Fahrer eines Zisternenlastwagens die Kontrolle über den Wagen verlor, einen Abhang hinunterschlitterte und dabei drei Häuser mit sich riss. Die Bewohner kamen mit dem Leben davon, weil sie auswärts arbeiten waren, doch sie verloren ihren gesamten Besitz.

Seit dem Unfall meiden LKW-Fahrer die steilsten Gegenden von Los Condes. Sie befüllen einen gemeinsamen Speicher am Anfang der Straße, die nach oben führt. Diese Änderung betrifft auch Tula Tinoco Espinoza, die nun mit mehreren Eimern den Hügel hinunter und wieder hinaufsteigen muss, um ihren Tank zu füllen. „Ich habe Hüftprobleme, ich kann nicht viel tragen. Mein Mann und mein Sohn helfen mir, wenn sie nicht gerade in der Arbeit oder in der Schule sind. Nur so kann ich kochen“, sagt sie. 

„Ihren Kaktus gießt Jessica Aponte mit dem Schmutzwasser“

In diesen Vierteln passen die Bewohner ihre Haushaltsroutine an die Wasserknappheit an. Zum Spülen benutzt Tula zwei Wannen; in der einen seift sie das Geschirr ein, in der anderen taucht sie es ins Wasser. Mehr geht nicht. Mit dem Schmutzwasser gießt sie ihren Kaktus. Ein Skandal, wenn man bedenkt, wie viel Wasser in Limas wohlhabendsten Gegenden für ausgiebiges Duschen, das Waschen von Autos und das Bewässern ausgedehnter Rasenflächen verschwendet wird.

Den Sunass-Daten zufolge verbrauchte der Distrikt San Isidro im Jahr 2022 täglich 280 Liter Wasser pro Einwohner, fast das Dreifache der von der WHO empfohlenen Menge, um die grundlegenden Bedürfnisse eines Menschen zu befriedigen. Dagegen beträgt der tägliche Wasserverbrauch eines Menschen in Puente Piedra nur 64 Liter und in anderen Distrikten im Norden Limas wie Ancón gerade einmal 33.

Eine staubige und steinige Straße führt eine steile Anhöhe hinauf. Rechts und links der Straße stehen große schwarze Wasserzisternen. Oben läuft ein Mädchen die Straße weiter hoch, hinter der Anhöhe ist die Ecke eines Hauses zu sehen und oberirdische Stromleitungen

Wasserzisternen auf einer unbefestigten Straße in Puente Piedra

Bis zur Covid-Pandemie bezahlten Limas Einwohner ohne Wasseranschluss 3,5 Dollar pro Woche für die Befüllung ihrer Tanks durch Zisternenlastwagen, doch manche Familien kauften auch Wasser von zweifelhafter Qualität bei informellen Händlern. Dieses System wurde ausgesetzt, als die Regierung wegen des Gesundheitsnotstands Wasser kostenlos verteilen ließ. Eine temporäre Maßnahme, die ausläuft, falls der Noterlass, der Decreto de Urgencia 014-2023, nicht verlängert wird.

„Wenn sie die Verordnung nicht erneuern, werden wir wieder dieses verseuchte Wasser kaufen müssen“, sagt Carla Ortiz Paz, die Vorsitzende der Genossenschaft Los Condes. Vor allem müsste das Ministerium für Wohnen und Bauwesen sein Versprechen von 2019 einlösen, die Bewohner von Puente Piedra ans Wasserverteilungssystem und die Kanalisation anzuschließen. 

Das Bauprojekt ist Teil des „Programa Agua Segura para Lima y Callao“ (PASLC), des Programms für sicheres Wasser für die beiden Städte, und soll umgerechnet 84,3 Millionen Dollar kosten. In der Projektbeschreibung heißt es, dass 153.000 Einwohner des Distrikts mit 5.077 neuen Wasserleitungen und 5.100 Kanalisationsrohren versorgt und weitere 2.704 instand gesetzt werden sollen. 

Die Kinder in der Genossenschaft Los Condes haben keine Vorstellung davon, wie es ist, fließendes Wasser im Haus zu haben. Ihre Eltern wollen nicht, dass dies zum Erbe der neuen Generationen wird, doch dafür bräuchte es in der Wüste noch mehr als einige neue Rohre.

Denn infolge des Klimawandels haben sich die Wasserreserven von Lima, wo es so gut wie nie regnet, auch insgesamt verringert. Die Hauptquelle für Wasser in der Metropole ist mit 69 Prozent der Rímac, gefolgt von den Flüssen Chillón und Lurín sowie dem Grundwasservorkommen, das ohnehin schon zu stark beansprucht wird.

All diese Quellen speisen sich wiederum aus Regenfällen in den Hochanden, auf die man sich mittlerweile kaum noch verlassen kann. So informierte die Senamhi, die Behörde für Hydrologie und Meteorologie, darüber, dass Perus Bergland 2022 die schlimmste Dürre seit 58 Jahren erlebt habe.

2023 verspäteten sich die Niederschläge erneut und führten im Huascacocha und im Marcapomacocha, den beiden Seen, aus denen Lima auch versorgt wird, zu einer Reduzierung der Wassermenge um dreißig Prozent. Bereits im Jahr 2016 warnte eine Studie der Organisation Aquafondo vor den Folgen des Klimawandels für Lima. „Das Wasserangebot könnte sich wegen ausbleibender Niederschläge langfristig um sechs Prozent verringern; in einem weniger optimistischen Szenario sind es sogar 13 Prozent.

Diese Entwicklungen könnten eine ernsthafte Wasserkrise in Lima auslösen, wenn der Bedarf vonseiten der Privathaushalte und der Industrie weiterhin steigt und keine Maßnahmen zur effizienteren Verwendung und Wiederverwendung der Ressource ergriffen werden.“

Es fehlt an Infrastruktur, um das ohnehin schon knappe Wasser zu speichern, aufzubereiten und zu verteilen. Einem Weltbankbericht zufolge verfügt Peru über eine Speicherkapazität von 184 Kubikmetern pro Person, was weit unter den 2.500 Kubikmetern liegt, die als Durschnitt für das übrige Lateinamerika ermittelt wurden.

„Die über 1.400 Teiche und Wasserspeicher, die von der Regierung in Peru gefördert wurden, reichen nicht aus“

Laut dem Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung und Bewässerung (MIDAGRI) nutzt das Land nur ein Prozent der insgesamt zwei Billionen Kubikmeter Regen, der jährlichen Menge an Niederschlag. Der Rest sickert ins Meer oder verdunstet. Angesichts dieser schwierigen Situation versuchen die Einwohner der Hochanden auf traditionelles Wissen darüber zurückzugreifen, wie sich Wasser sammeln lässt.

Sie fassen Seen ein und sammeln Regenwasser, auch um unterirdische Speicher und Moore zu versorgen. Zwischen 2019 und 2022 förderte die Regierung den Bau von über 1.400 Teichen und Wasserspeichern in den Anden. Das reicht allerdings nicht.

„Wir wissen nicht, was uns der Klimawandel bringt“, sagt Carla Ortiz von der Genossenschaft Los Condes. „Wird es uns schlechter gehen als jetzt? Wer weiß, aber schon ein paar Stunden Wasser am Tag zu haben, wäre für uns in Puente Piedra eine echte Verbesserung.“

Aus dem Spanischen von Laura Haber und aus dem Englischen von Louise East