Migration | Griechenland

Jenseits von Lesbos

Auf der Insel Samos werden Geflüchtete in einem Hochsicherheitslager eingepfercht. Freiwillige vor Ort sind entsetzt – und wollen Abhilfe schaffen

Auf einem eingezäunten Grundstück stehen viele kleine Wohncontainer dicht nebeneinander. Auf der Straße entlang des Zaunes fährt ein Bus und ein Auto.

Das 2021 mit EU-Geldern errichtete Zervou Refugee Camp für Geflohene auf der Insel Samos

Am 20. September 2021 beginnen die griechischen Behörden das Flüchtlingslager am Stadtrand von Vathy auf Samos in der östlichen Ägäis zu räumen. Dazu den sogenannten Dschungel, eine Ansammlung von Zelten, die sich weit in den Hang oberhalb der Stadt gefressen hat.

Alle Geflüchteten werden mithilfe der Polizei in Bussen in das Zervou Refugee Camp transferiert. So heißt das neue mit EU-Geldern errichtete Hochsicherheitslager, das sieben Kilometer außerhalb der Stadt liegt, nachts hermetisch abgeriegelt wird und zu dem NGOs keinen freien Zugang haben.

Der Künstler Yala saß nicht in einem der Busse. Kurz vor dem Umzug des Lagers hat er es auf das griechische Festland geschafft. Der junge Mann stammt aus der Republik Kongo. Über den Sudan, Ägypten, Jordanien und die Türkei war er 2017 auf die Insel gelangt. Seither lebte er im Lager.

Jeden Morgen packte Yala seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zu einem schattigen Platz an der Rückseite des archäologischen Museums. Er legte seine Farbtuben auf eine Mauer, nahm einen Hut, wie ihn die Touristen gegen die Sonne kaufen, und bemalte ihn mit feinen geometrischen Mustern.  

Yala war auf der Insel Samos bekannt, weil er ihr etwas geschenkt hatte, das es auf griechischen Inseln nicht gibt: vier Giraffen. Auf einer drei mal fünf Meter großen Tafel am Stadtrand von Vathy sind ihm die grazilen Tiere so gut gelungen, als würden sie wirklich über die Steppe laufen. Den Hintergrund bilden Farben, wie man sie von den Rocktüchern, den Kitenge, afrikanischer Frauen kennt.

Ein kräftiges Rot, dunkles Blau und Urwaldgrün. Für die Geflüchteten aus afrikanischen Ländern ein Heimwehbild. Yala hat Samos verlassen, andere kommen auf die Insel, Simone etwa: Er kam nach Samos, weil er helfen wollte. Seit 2020 ist er für die Kommunikation mit Journalisten und für das Fundraising bei der NGO Samos Volunteers zuständig.

Durch seine Arbeit bei der italienischen Botschaft in Athen erfuhr er von der katastrophalen Situation auf der griechischen Insel und verpflichtete sich für ein Jahr bei der NGO. „Im Januar dieses Jahres“, sagt er beim Gespräch im Alpha Center, dem Sitz der Samos Volunteers, „hatten wir Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Im August stieg das Thermometer auf 44 Grad. Manche haben nur eine Plane, um sich zu schützen.“ Außerdem seien sie geschwächt von der Flucht. Seit 2016 gibt es die Samos Volunteers auf der Insel.

„Aufgeben kommt für uns nicht infrage!“

Die unabhängige NGO arbeitete ausschließlich außerhalb des Lagers, weil dieses, wie Simone erklärt, fundamentale Menschenrechte missachtet  und ein restriktives System etabliert, das hilfsbedürftige Menschen mehr ausgrenzt als aufnimmt. Der oberste Grundsatz der Samos Volunteers lautet: Hilfe nahe an den notwendigen Bedürfnissen der Menschen, also Sprachunterricht, Möglichkeiten die Wäsche zu waschen und zu flicken und vor allem: geschützte Räume für Frauen.

Geflüchtete können dort ihre Mobiltelefone aufladen, um mit der Heimat in Verbindung zu bleiben. Das Alpha Center der Samos Volunteers wird noch so lange offen bleiben, bis die Arbeit in den Zelten nahe dem Zervou Refugee Camp beginnen kann. „Aufgeben“, betont Simone, „kommt für uns nicht infrage!“