Diplomatie | Deutschland

„Die Vorbilder fehlen“

Deutsche Botschafter sind meistens weiß und männlich. Das muss sich ändern, findet die Nachwuchsdiplomatin Tiaji Sio

Ein Porträt einer jungen Schwarzen Frau. Sie trägt einen Trenchcoat, große runde Ohrringen und lächelt in die Kamera.

Tiaji Sio arbeitet im Auswärtigen Dienst. 2020 zählte das US-Magazin Forbes sie zu den erfolgreichsten Persönlichkeiten unter 30 Jahren in Deutschland

Frau Sio, Sie arbeiten derzeit in der deutschen Botschaft in Hanoi. Wie kamen Sie zum Auswärtigen Dienst? 

Ich habe mich schon in der Schule für Außenpolitik interessiert, habe beim Europäischen Jugendparlament mitgemacht und bei Simulationen der Vereinten Nationen. Nach dem Abitur bewarb ich mich für den Auswärtigen Dienst und arbeite jetzt in der Abteilung für Wirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit in Vietnam. Beim Auswärtigen Amt sind die meisten Beschäftigten Generalisten und wechseln alle paar Jahre das Ressort und den Einsatzort. Diese Flexibilität ist toll.

Im Jahr 2019 haben Sie das Netzwerk „Diplomats of Colour“ gegründet. Wie kam es dazu?

Ich komme aus Frankfurt am Main, einer sehr internationalen Stadt. Beim Auswärtigen Amt war ich zunächst etwas überrascht, dass viele der Diplomaten einen so ähnlichen Hintergrund haben – vor allem auch in Führungspositionen. Zudem ist der Frauenanteil erstaunlich niedrig: Weltweit leiten Kolleginnen nur 23 Prozent der deutschen Botschaften und Generalkonsulate. In Kanada, den USA, Großbritannien oder Frankreich sieht es auf Führungsebene schon diverser aus. Selbst Polen hat eine Schwarze* Botschafterin. Bei uns gibt es zum Vergleich nicht einmal einen türkischstämmigen Generalkonsul. Darum habe ich mich mit einigen Kolleginnen und Kollegen, die Schwarz oder People of Colour sind, vernetzt. Die Gruppe „Diplomats of Colour“ ist schnell auf 150 Personen angewachsen. 

Was sind Ihre Ziele?

Wir sind das erste Beschäftigtennetzwerk, das sich auf Bundesministerialebene mit der Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt. Wir wollen, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt auch in den Ministerien widerspiegelt. Das könnte auch rechtlich verankert werden – etwa mit einem Diversitätsgesetz.

Wie reagierte das Auswärtige Amt?

Vonseiten der politischen Führung des Ministeriums gab es viel Unterstützung. Vielfalt, gerade in der Außenpolitik, ist hochaktuell. Der Auswärtige Dienst profitiert davon, wenn in der internationalen Zusammenarbeit verschiedene Perspektiven unserer pluralistischen Gesellschaft vertreten sind.

2014 hat das Auswärtige Amt die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Die Charta der Vielfalt ist ein wichtiger Schritt, aber auf politische Bekenntnisse müssen konkrete Maßnahmen folgen. Vor Kurzem zeigte eine Beschäftigtenumfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dass nur zwölf Prozent aller Beschäftigten in der Verwaltung einen Migrationshintergrund haben. In der deutschen Bevölkerung sind es 26 Prozent. Seit den Black-Lives-Matter-Protesten, den Anschlägen in Halle und Hanau und dem Diskurs über Rassismus wurde das Bewusstsein gestärkt, dass der Unterrepräsentation strukturelle Mechanismen zugrunde liegen. Daher muss sich auch im öffentlichen Dienst etwas tun. Politik und Verwaltung müssen für alle da sein.

Warum ist die Belegschaft des Auswärtigen Amts so homogen?

Die Vorbilder fehlen, sodass viele People of Color das Auswärtige Amt gar nicht als Arbeitgeber in Betracht ziehen. Es muss auch geprüft werden, ob die Personalrekrutierung und -auswahl fair gestaltet sind. Hat eine weiße Person aus einer Akademikerfamilie bessere Chancen, die Fragen des Assessment Centers richtig zu beantworten? Wie sieht es mit strukturellen Barrieren bei Beförderungen aus? All das sollte untersucht werden.

Was raten Sie Jugendlichen mit diversen Hintergründen, die sich für auswärtige Politik interessieren?

Bewerbt euch! Im Auswärtigen Amt sind wir das Aushängeschild der Bundesregierung in der Welt. Höchste Zeit, dass wir auch dort zeigen, was für eine vielfältige Gesellschaft wir sind.

* Der Begriff »Schwarz« wird hier als Selbstbezeichnung genutzt und in Abgrenzung zur Beschreibung einer Hautfarbe bewusst großgeschrieben.

Das Interview führte Gundula Haage