Klimapolitik

„Wir finanzieren unsere Ausrottung“

Wie ein Mantra betont die Politik, dass Öl und Gas bald ausgedient haben. Doch wann folgen endlich Taten? Für Rana Adib von REN21, der Initiative für erneuerbare Energien, ruht die Hoffnung nun auf Städten und Konzernen

Eine Illustration einer Stadt mit Industriegebiet in schwarz, weiß und rot. Über der Stadt hängt eine sehr große schwarze Rußwolke, auf die ein offener Mund mit spitzen Zähnen gezeichnet ist.

Achtzig Prozent des weltweiten Entergiebedarfs werden nach wie vor durch Erdöl, Gas und Kohle gedeckt

Das Interview führte Kai Schnier

Frau Adib, würde man ausschließlich auf die Regierungschefs dieser Welt hören, dann könnte man meinen, wir seien auf dem besten Weg in eine grüne Zukunft. Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass auch gegenwärtig noch achtzig Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch Erdöl, Gas und Kohle gedeckt werden. Täuscht die Politik die Öffentlichkeit vorsätzlich?

Ich würde es nicht als vorsätzliche Täuschung bezeichnen, sondern als eine Art politische Selbstbeweihräucherung. Man muss das aber differenziert betrachten und sehen, dass unsere komplette Wirtschaft seit etwa 150 Jahren auf fossile Brennstoffe ausgerichtet ist. Daraus folgt natürlich eine gewisse politische Trägheit.

Andererseits ist in den vergangenen Jahren jedoch auch viel Bewegung in das Thema erneuerbare Energien gekommen: Rund 170 Staaten haben sich mittlerweile dazu verpflichtet, verstärkt auf erneuerbare Energieträger zu setzen – und selbst Akteure wie Indien, die solche Ziele lange abgelehnt haben, streben seit der letzten Weltklimakonferenz Klimaneutralität an.

Dennoch stellte die Internationale Energieagentur (IEA) kürzlich fest, dass „die Versprechen der Klimaneutralität noch nicht zu einem großen Anstieg der tatsächlichen Ausgaben für saubere Energie geführt haben“. Warum ist das so?

Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist, dass die Kritiker der erneuerbaren Energien zuletzt viele Mythen in die Welt gesetzt haben. Zum Beispiel das Narrativ, dass erneuerbare Energieträger niemals eine sichere Quelle für unseren Strom sein können, weil „die Sonne nicht immer scheint“ und „der Wind nicht immer weht“. So realitätsfern solche Behauptungen auch sein mögen – vor allem, wenn man bedenkt, dass der Anteil der Erneuerbaren in vielen Ländern noch immer erst bei zehn bis 15 Prozent liegt: In der Öffentlichkeit und auch in der Politik haben sie Zweifel genährt.

Ein zweiter Grund für den eher zähen Fortschritt ist, dass viele erneuerbare Projekte immer noch nicht wirklich „bankfähig“ sind – und das obwohl Solar- und Windenergie bereits heute die kostengünstigste Art der Stromerzeugung darstellen. Soll heißen: Die regulatorischen Rahmenbedingungen bieten Investoren noch nicht genug Anreize, um in größerem Umfang einzusteigen. Hier hinkt die politische Realität den Ansprüchen der Öffentlichkeit hinterher. 

Anspruch und Realität driften auch beim Thema Subventionen stark auseinander. Auch 2021 unterstützten Staaten fossile Energieträger wieder mit Zuschüssen in Höhe von mehr als 350 Milliarden Euro. Angesichts der Klimakrise klingt das verrückt.

Nicht nur verrückt, sondern auch zynisch, wenn man bedenkt, dass sich viele Staaten bereits grundsätzlich auf eine Förderung erneuerbarer Energieträger verständigt haben. Trotzdem werden in mindestens 115 Ländern weiterhin öffentliche Gelder verwendet, um fossile Brennstoffe zu subventionieren. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat die Absurdität dieser Situation am besten illustriert, als es im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Glasgow das Video „Frankie the Dino“ veröffentlichte. „Stellen Sie sich vor, wir hätten Hunderte Milliarden pro Jahr ausgegeben, um riesige Meteoriten zu subventionieren“, sagt da ein computergenerierter Dinosaurier zu den versammelten UN-Mitgliedern.

Ich finde diesen Vergleich sehr passend, denn im Grunde finanzieren wir unsere eigene Ausrottung. Gleichzeitig müssen wir die Subventionen auch realistisch betrachten: Sie haben Strom aus fossilen Energieträgern über Jahrzehnte billiger gemacht, als er sein sollte.

Sie nun von einem Tag auf den anderen abzuschaffen, hätte deshalb schwerwiegende soziale Konsequenzen. Deshalb brauchen wir nicht nur dringend politische Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien, sondern auch kluge Strategien, um die negativen Effekte ausgesetzter Subventionen abzufedern. 

„In Zukunft brauchen wir einen gesunden Energiemix aus verschiedenen erneuerbaren Quellen“

Statt sich mit solchen Strategien zu befassen, schieben sich viele Staaten bei der Energiewende jedoch lieber weiterhin gegenseitig die Schuld zu: „Unsere“ Politik spielt keine Rolle, wenn „die anderen“ nichts verändern, heißt es in Deutschland und auch in den USA dann oft. Aber stimmt es überhaupt, dass der Rest der Welt nicht genug Engagement zeigt?

Das kommt ganz auf die Perspektive an. Natürlich kann man etwa nach China schauen und den dortigen Kohle- und Gasverbrauch kritisieren. Man muss das dann aber auch zu der enormen Einwohnerzahl in Relation setzen. Zudem könnte man genauso gut sagen, dass es nirgendwo größere Solar- und Windkraftkapazitäten gibt als in China.

Die Gesamtkapazität der erneuerbaren Energien beträgt dort bereits 908 Gigawatt, während es in den USA gerade einmal 313 Gigawatt sind. Ebenso haben Entwicklungs- und Schwellenländer die Industrienationen bei den jährlichen Investitionen in erneuerbare Energien mittlerweile überholt. So kann der Eindruck also täuschen. 

Frustriert es Sie, dass viele Politiker die Energiewende vornehmlich noch immer durch eine wettbewerbsorientierte und ökonomische Brille sehen?

Ich würde eher sagen, dass mich das anspornt. Es zwingt Unterstützer der Energiewende, also auch meine Organisation REN21 dazu, kreativ zu sein. Wenn wir sehen, dass die Regierungen bislang nicht ehrgeizig genug agieren, dann müssen wir sie eben mehr unter Druck setzen. Zum Beispiel, indem wir mit dem privaten Sektor oder mit der Zivilgesellschaft sprechen.

Wir müssen ja am Ende nicht alle Menschen überzeugen, sondern nur eine kritische Masse erreichen, die die Politik und die Märkte zum Umdenken zwingt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel dafür, was ich meine: Eine Vertreterin des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sagte mir einmal, dass sie sehr froh über die „Fridays for Future“-Bewegung sei.

Ohne diese Bewegung hätte sich der politische Ton nicht geändert, sagte sie, und das Ministerium wäre nicht dazu gezwungen gewesen, einige harte Entscheidungen in Bezug auf Ökologie und Nachhaltigkeit zu treffen. Für mich bedeutet das: Wenn der Druck steigt, sind Veränderungen möglich.

Genau deswegen habe ich in letzter Zeit auch viel mit Städten und Gemeinden gesprochen. Denn während Staaten sich nur langsam anpassen, sind Städte viel direkter mit ihren Bürgern konfrontiert. Und die fordern nicht nur bezahlbaren Strom, sondern auch saubere Luft und besseren Nahverkehr.

Gleichzeitig haben Städte aber nicht genug politische Handhabe, um die Energiewende anzuführen, oder?

Das heißt ja nicht, dass sie nicht trotzdem wichtige politische Impulse geben können. Derzeit setzen sich weltweit bereits mehr als 1.300 Städte konkret für die Förderung erneuerbarer Energien ein.

In Barcelona ist zuletzt der Ausbau der Solarkapazitäten sprunghaft angestiegen, in Paris nutzen Supermärkte neue Flotten von Elektrofahrzeugen, und Kapstadt hat erst kürzlich eine Klage gegen die südafrikanische Energieregulierungsbehörde eingereicht, um mehr erneuerbare Energie von unabhängigen Stromerzeugern beziehen zu können. Solche Entwicklungen generieren politischen Druck und zwingen nationale Regierungen dazu, sich zu bewegen. 

Könnte die Energiewende auch durch technologische Innovationen wie den grünen Wasserstoff beschleunigt werden, von dem zuletzt immer öfter die Rede ist? 

Natürlich behalten wir neben Wind, Photovoltaik und Wärmeenergie auch andere Technologien im Auge. Bei REN21 sind wir „technologie-offen“, das heißt, wir sind gegenüber verschiedenen erneuerbaren Energien unvoreingenommen. In Zukunft brauchen wir nämlich einen gesunden Energiemix aus verschiedenen erneuerbaren Quellen. Grüner Wasserstoff könnte dabei gerade deshalb eine wichtige Rolle spielen, weil er Wirtschaftssektoren klimaneutral machen könnte, in denen das sonst nur sehr schwer zu schaffen wäre, etwa den treibstoffintensiven Transportsektor und die Schwerindustrie.

Glauben Sie daran, dass uns eine globale Energiewende schlussendlich gelingen wird?

Es wird in jedem Fall ein riesiger Kraftakt nötig sein. Aber auch wenn ich gerade ein französisches Buch mit dem Titel „Wie man ein ökologisches Leben führt, ohne depressiv zu werden“ lese, habe ich noch viel Zuversicht in mir (lacht). Man muss auch ein bisschen bescheiden sein und die kleinen Veränderungen wertschätzen, nicht nur die großen Schritte.