Geschichte | Afghanistan

2.500 Jahre

In der Historie Afghanistans lässt sich die Weltgeschichte wie unter einem Mikroskop betrachten – ein Zeitstrahl

Eine Truppe voll ausgerüsteter US-Soldaten laufen entlang eines Rollfeldes. Im Hintergrund steht der Militärhubschrauber.

US-Soldaten landen im März 2002 nach einem Einsatz im Rahmen der Operation »Anakonda« auf der Bagram Air Base

Von der Überquerung des Hindukusch durch Alexander den Großen über die Anglo-Afghanischen Kriege bis hin zum Einmarsch der NATO-Truppen: Die afghanische Geschichte ist tragisch, doch ebenso die Erzählung von einer Gesellschaft, die seit Jahrtausenden unermüdlich für ihre Freiheit kämpft.

 

Antike

Ein großer Teil vom Territorium des heutigen Afghanistan wird im 6. Jahrhundert v. Chr. von dem persischen Großkönig Kyros II., der von 559 bis 529 v. Chr. regierte, erobert und seinem Achämenidenreich angegliedert.

Im Winter 330 v. Chr. stößt Alexander der Große nach Afghanistan vor. Ein Jahr später überquert er auf der Jagd nach Bessos, dem Mörder des letzten regierenden achämenidischen Königs Dareios III., mit seinem Heer den Hindukusch.

Nach Alexanders Tod am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon werden Gebiete, die heute afghanisches Staatsterritorium sind, um 320 v. Chr. Teil des Seleukidenreiches unter dessen König Seleukos I. Etwa hundert Jahre später geht die Region im Neupersischen Reich der Sassaniden auf.

Mittelalter

Im 7. und 8. Jahrhundert n. Chr. erobern die Araber im Zuge der „Islamischen Expansion“ sukzessive das Territorium des heutigen Afghanistan. Regionale persische Machtzentren unterstehen nun dem muslimischen Kalifat, das nur allmählich den Widerstand der buddhistischen Turk-Schahi- und der hinduististischen Hindu-Shahi-Dynastien brechen kann. Die sunnitische Auslegung des Islam setzt sich bis zum Ende des 10. Jahrhunderts durch.

Im 13. Jahrhundert bedrohen mongolische Reitervölker mit ihren Angriffen die kulturelle und wirtschaftliche Blütephase, die unter persisch- und türkischstämmigen muslimischen Dynastien wie den Samaniden oder den Ghaznawiden eingesetzt hatte.

Im 14. Jahrhundert bemüht sich der Stammesführer Timur Lenk, das unter Dschingis Khan begründete und nach dessen Tod zerfallene Mongolenreich wiederherzustellen. Hauptstadt seines „Timuridenreiches“ ist zeitweilig Herat im heutigen Afghanistan.

Neuzeit

Nader Schah, Schah von Persien, erobert im Jahr 1738 gegen den Widerstand des Paschtunen-Stammesverbandes der Ghilzai die historisch auch als östliches Khorasan bekannte Region des heutigen Afghanistan. Schah zieht in Kandahar ein und besetzt auf seinem Feldzug nach Indien Kabul. Neun Jahre später nutzt der Paschtune Ahmad Schah Durrani das Machtvakuum, das durch die Ermordung Nader Schahs entstanden ist, um ein eigenes unabhängiges Königreich in Khorasan zu gründen. Durrani vereint erstmals die afghanischen Stämme. Er gilt als Begründer eines modernen Staates Afghanistan und wird Ahmad Shāh Bābā genannt, „Ahmad Shah der Vater“. Mit ihm wird der immense Einfluss der Paschtunen in Afghanistan, der bis heute anhält, ausgebaut.

1823 gründet Dost Mohammed das Emirat Afghanistan. Im 19. Jahrhundert wird das Emirat in das „Great Game“ zwischen den beiden Großmächten Großbritannien und Russland gezogen – ein „Spiel“ um die geopolitische Vorherrschaft in Zentralasien. Im Ersten Anglo-Afghanischen Krieg von 1839 bis 1842 scheitern die Briten daran, das Land dauerhaft zu besetzen und ihrem Kolonialreich anzugliedern.

Auch im Zweiten Anglo-Afghanischen-Krieg von 1878 bis 1880 gelingt es dem Vereinigten Königreich nicht, gänzlich die Kontrolle über die Region zu übernehmen. Der neue afghanische Emir Abdur Rahman Kahn muss allerdings die Hoheit über die Außenpolitik abgeben. Die bis heute umstrittene „Durand-Linie“ zwischen Afghanistan und dem damaligen Britisch-Indien wird 1893 bewusst durch Stammesgebiete der Paschtunen gezogen, um deren Einfluss zu schwächen. Ehemals afghanische Gebiete im Süden werden dem Empire zugesprochen und gehören heute zu Pakistan.

In der Folge finden antibritische Ressentiments Verbreitung. Während des Ersten Weltkriegs fordern Afghanen die Aufgabe der außenpolitischen Neutralität und die Loslösung vom Britischen Empire. Unter dem Emir und späteren afghanischen König Ghazi Amanullah Khan gelingt es am 8. August 1919 im Frieden von Rawalpindi, die vollständige nationale Souveränität zurückzuerlangen – die „Durand-Linie“ bleibt allerdings bestehen.

In den 1930er-Jahren kooperiert Afghanistan eng mit dem Deutschen Reich. Deutsche Offiziere modernisieren das Militär und die Polizei, auch in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur arbeiten Berlin und Kabul zusammen. Dennoch entscheidet sich der afghanische König Sahir Schah dazu, im Zweiten Weltkrieg neutral zu bleiben.

Am 19. November 1946 wird Afghanistan in die Vereinten Nationen aufgenommen.

1964 verabschiedet die Ratsversammlung Loya Dschirga eine neue Verfassung, Afghanistan wird zur konstitutionellen Monarchie. Nach den ersten freien Wahlen im September 1965 übernimmt mit Kubra Noorzai erstmals eine Frau ein Ministeramt (Gesundheit).

Am 17. Juli 1973 führt Sahir Schahs Cousin Daoud Khan in dessen Abwesenheit einen Staatsstreich durch und zwingt Schah dazu, abzudanken. Die neue Republik Afghanistan wird schnell zu einem Einparteiensystem, von vielen als Diktatur empfunden und von linken Oppositionellen wie auch islamischen Gruppen von Pakistan aus bekämpft.

Im April 1978 wird Daoud Khan in der sogenannten Saur-Revolution durch das Militär abgesetzt und hingerichtet. Die Macht übernehmen Politiker der Demokratischen Volkspartei Afghanistans. Die Führer Nur Muhammad Taraki und Hafizullah Amin führen weitreichende Bodenreformen durch: Großgrundbesitzer werden enteignet und das Land zwangssäkularisiert. Als Reaktion gründen sich diverse Mudschaheddin-Gruppen.

Am 25. Dezember 1979 marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Im folgenden (Guerilla-)Krieg gegen die Besatzer werden die Mudschaheddin von muslimischen Ländern wie Pakistan, aber auch von den USA unterstützt. Afghanistan entwickelt sich zu einem der heißen Konflikte des Kalten Krieges, zu einem globalen „Stellvertreterkrieg“ zwischen den Großmächten, in dem Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen Afghaninnen und Afghanen sterben.

Im Februar 1989 ziehen sich die letzten Truppen der UdSSR aus Afghanistan zurück. Historiker sprechen vom „Vietnam der Sowjetunion“. Die Regierung unter Mohammed Nadschibullah bleibt bis zur Einnahme Kabuls im Jahr 1992 durch die Mudschaheddin im Amt.

Nach der Niederlage und späteren Ermordung Nadschibullahs eskaliert der Konflikt zu einem Bürgerkrieg, in dem sich verschiedene Fraktionen unter der Führung der Warlords Gulbuddin Hekmatyar, Ahmad Schah Massoud und Abdul Raschid Dostum bekämpfen. Während der Auseinandersetzung wird die Hauptstadt Kabul von Hekmatyars Milizen beschossen. Laut Human Rights Watch kommt es zu Geiselnahmen, Morden, Vergewaltigungen und Plünderungen. Während eines Waffenstillstands wird Hekmatyar 1993 zum afghanischen Premierminister ernannt.

Ab 1994 werden in der südafghanischen Stadt Kandahar die Taliban gegründet, ihr Anführer heißt Mohammed Omar. Etliche der überwiegend jungen Kämpfer, viele von ihnen afghanische Geflüchtete, rekrutieren sich aus fundamentalistischen Koranschulen in Pakistan. Am 27. September 1996 erobern die Taliban Kabul und errichten das „Islamische Emirat Afghanistan“. Die bisherigen Widersacher Massoud und Dostum gründen zusammen mit dem damaligen afghanischen Präsidenten Burhānuddin Rabbāni die sogenannte Nordallianz. Im März 2001 sprengen die Taliban die Überreste der berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan. Sie verüben Massaker an der afghanischen Zivilbevölkerung, schränken Frauenrechte massiv ein und verfolgen Oppositionelle.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York beginnt eine internationale Koalition unter Führung der USA mit der „Operation Enduring Freedom“. Offizielle Begründung ist die Weigerung der Taliban, den Al-Qaida-Führer Osama bin Laden auszuliefern. Am 13. November 2001 übernehmen die Alliierten die Kontrolle in Kabul.

Im Zuge der internationalen Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg in Königswinter bei Bonn wird Hamid Karsai 2001 zum Übergangspräsidenten ernannt. Die UN legitimierten eine fortdauernde militärische Präsenz des Westens im Land durch das ISAF-Mandat.

Nach dem überhasteten Abzug der NATO-Truppen übernehmen die Taliban im Herbst 2021 nach nur geringem Widerstand durch das Militär abermals die Kontrolle über Afghanistan.

Zusammengestellt von Ruben Donsbach