Sprache | Irland

Comeback der gälischen Sprache

Irisch zu sprechen galt lange als kontrovers und rückwärtsgewandt. Jetzt nehmen junge Menschen die Landessprache bewusst wieder an. Was ist da in Irland los?
Porträt einer Frau im mittleren Alter. Sie hat langes braunes, leicht gewelltes Haar und trägt eine Brille. Hinter ihr steht ein großes Bücherregal

Audrey Magee ist Autorin und Journalistin, sie lebt in Wicklow in Irland

Paul Mescal, der junge Ire, der dieses Jahr als Hauptdarsteller des Familiendramas „Aftersun“ für den Oscar nominiert war, hat neben seinem allgemeinen schauspielerischen Talent eine ganz besondere Gabe: Er kann das Alltägliche, vermeintlich Langweilige und Banale aufregend und attraktiv erscheinen lassen. Da wären zum Beispiel die schlabbrigen Polyestershorts, die er als Connell, der Junge aus einfachen Verhältnissen, in der Serie „Normal People“ beim Gaelic Football trägt, einer Mischung aus Rugby und Fußball.

Schon seit Generationen laufen irische Männer in diesen Hosen herum, der offiziellen Kluft der Gaelic Athletic Association, die in jedem Sportgeschäft für zwanzig Euro erhältlich ist. Nie hat sie jemand beachtet. Doch kaum sprintet Mescal in diesem Aufzug über ein schlammiges Spielfeld, ist alle Welt plötzlich verrückt nach GAA-Shorts. Sogar Gucci sprang auf den Zug auf und machte sie zum Preis von 550 Euro zu einem Must-have für modebewusste Männer auf der Suche nach einem ganz speziellen Sexappeal.

Nun ist die Frage: Funktioniert der Mescal-Effekt auch mit Blick auf dringlichere Themen als Modetrends? Zum Beispiel in Bezug auf die irische Sprache, die bis vor nicht allzu langer Zeit vom Aussterben bedroht schien? Immerhin sorgte der Schauspieler Anfang des Jahres bei der Verleihung der British Academy Film Awards für Aufsehen, als er sich auf dem roten Teppich bereit erklärte, ein Interview auf Irisch-Gälisch zu geben. Zwar beantworteten auch andere Stars die Fragen der Medien auf Irisch, aber bei Mescal lag der Fall ein wenig anders.

„Frühere Generationen, einschließlich meiner eigenen, hatten ein belastetes und schwierigeres Verhältnis zu dieser Sprache“

Paul Mescal ist kein Muttersprachler, er besuchte zwar eine irischsprachige Grundschule, aber in seinem häuslichen Umfeld wurde Englisch gesprochen. Während des Interviews für den irischen Fernsehsender TG4 suchte er immer wieder nach dem richtigen Wort, er hatte Mühe,  sich auszudrücken. Doch er blieb hartnäckig. Er machte Fehler, aber er gab nicht auf. Wenn ihm ein Wort nicht einfiel, behalf er sich mit einem englischen Ausdruck. Er verzog sein Gesicht und wand sich, er lachte über sich selbst, aber er ließ sich nicht entmutigen.

Es ist dieser Kampfgeist, dieses Bemühen, sein Bestes zu geben, gepaart mit seiner Bescheidenheit, seinem bodenständigen Charme und Humor, der ihn weltweit bei Menschen, die Irisch sprechen, und solchen, die es lernen wollen, beliebt gemacht hat. Das Video wurde millionenfach angesehen, und in einer sozusagen postmodernen Volte wurde Mescal dann auf Englisch zu seinem Interview interviewt, das er auf Irisch gegeben hatte.

Seine Botschaft: Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Ihr Irisch nicht perfekt ist. Probieren Sie es aus, benutzen Sie die „cúpla focal“, die „Handvoll Wörter“ – so nennt man es, wenn man die wenigen irischen Vokabeln, die man beherrscht, in die Konversation einfließen lässt. Schauen Sie doch einfach mal, mit etwas gutem Willen werden Sie es schon hinbekommen.

Mescals Haltung markiert einen radikalen Wandel im Umgang mit dem Irischen. Frühere Generationen, einschließlich meiner eigenen, hatten ein belastetes und schwierigeres Verhältnis zu dieser Sprache, die seit den Tagen von Heinrich VIII. und Elisabeth I. als Sprache der analphabetischen, armen Katholiken hingestellt wurde.

Zu Zeiten seiner Kolonialherrschaft über Irland versuchte Großbritannien, das Irisch-Gälische auszurotten und durch das Englische zu ersetzen. Diese Absicht wurde im 17. und 18. Jahrhundert mit Gesetzen untermauert, als man Katholiken etwa von der Ausübung von Ämtern, von Lehrberufen und von Tätigkeiten in der Justiz ausschloss. Indem die Engländer die Katholiken gesellschaftlich marginalisierten, verbannten sie auch die irische Sprache, die vor allem in den Städten einen rapiden Niedergang erfuhr.

„Mitte des 20. Jahrhunderts sahen viele junge Irinnen und Iren Englisch Jahren als die Sprache der Weltoffenheit und der Möglichkeiten“

Englisch wurde zur Sprache der sozialen Mobilität, Irisch zur Sprache der ländlichen Verarmung und Isolation. Letzteres entwickelte sich zu einer Art Regional- oder Privatsprache, zu einer Sprache der Heimat, der kleinen Gemeinschaften und der geheimen Rückzugsorte.

In den Jahren der britischen Herrschaft gab es immer wieder Versuche, die Sprache wiederzubeleben. Das bekannteste Beispiel ist die Conradh na Gaeilge, die Gälische Liga, gegründet 1893, zwei Jahre nachdem aus einer Volkszählung hervorgegangen war, dass nur noch 3,5 Prozent der Bevölkerung mit Irisch als Muttersprache aufgewachsen waren. Mit der Geburt der Gälischen Liga erwachte auch ein neues Interesse an der irischen Kultur, es kam zu einem Revival der Literatur, inspiriert unter anderem durch den Dichter William Butler Yeats.

James Joyce meldete sich, als er in Dublin studierte, zum Irischunterricht an. Dabei war er allerdings, anders als viele seiner Zeitgenossen, nicht durch den irischen Nationalismus motiviert, den er verabscheute. In seinem autobiografischen Roman „Stephen Hero“, dem Vorläufer von „A Portrait of the Artist as a Young Man“, nannte er Englisch die „Sprache des Kontinents“. 1904 flüchtete er mit seiner Lebensgefährtin Nora Barnacle aus Irland, um fortan in verschiedenen Ländern Europas zu leben.

Nach dem Abzug der Briten aus dem südlichen Teil Irlands erklärte der junge Staat Irisch im Jahr 1922 zur Amtssprache; Englisch wurde zur zweiten Sprache. Das Irische wurde idealisiert und neben dem Katholizismus, der Gaelic Athletic Association, heimischem Tanz und Folklore gleichsam auf ein Podest gehoben. Es galt als Essenz eines idealtypischen Irland.

Viele Bewohner der grünen Insel wussten damit im Alltag jedoch wenig anzufangen. All die Verklärungen der alten Sprache und Kultur konnten die Menschen nicht über  die grassierende Armut und Arbeitslosigkeit hinwegtrösten. Wie Joyce sahen viele junge Irinnen und Iren Englisch in den 1940er- bis 1960er-Jahren als die Sprache der Weltoffenheit und der neuen Möglichkeiten. Etwa, wenn es darum ging, in Länder wie England, Amerika oder Australien auszuwandern.

”Seit letztem Jahr ist Irisch eine offizielle Arbeitssprache der Europäischen Union“

Zu einer verstärkten Politisierung des Irischen kam es  dann im Rahmen des Nordirlandkonflikts. Die Gewalt, die den Teil der Insel ab dem Jahr 1969 erschütterte, führte auch dazu, dass sich viele Menschen von der Landessprache distanzierten. Denn die Republikaner reklamierten sie für sich. Irisch zu sprechen, wurde zu einer Art politischem Statement, dem Beweis, dass man für eine vereinte Nation kämpfte.

Mit Blick auf diese Ideologisierung erzogen immer mehr Eltern, denen das zu weit ging, ihre Kinder auf Englisch. Dieser Trend hielt bis April 1998 an, als das Karfreitagsabkommen der Gewalt in Nordirland ein Ende setzte. In der Folge begann sich auch etwas in Sachen Sprache zu verändern. Wobei die Entwicklung in Nordirland anders verlief als in der Republik.

Südlich der Grenze, in der Republik Irland, sehen viele der jüngeren Menschen die Landessprache längst nicht mehr als Ausdruck republikanischer oder nationalistischer Identität. Sie zu sprechen, deutet auch nicht mehr auf einen bestimmten Sozialstatus, eine politische Einstellung oder eine Religionszugehörigkeit hin. Sie ist einfach eine Sprache unter anderen. Schulen, in denen der gesamte Unterricht auf Irisch stattfindet, sind keine Ausnahme mehr.

Die Landessprache findet sich auf den Neonschildern von Dubliner Kneipen, auf der Straße hört man sie immer häufiger. Seit letztem Jahr ist sie eine offizielle Arbeitssprache der Europäischen Union. Und aus der Volkszählung von 2022 geht hervor, dass der Anteil derer, die angeben, Irisch zu beherrschen, um sechs Prozent gewachsen ist. Das sind immerhin 1,8 Millionen der insgesamt fünf Millionen Einwohner des Landes, auch wenn sich nur zehn Prozent „sehr gute“ Sprachkenntnisse bescheinigen.

Für jemanden aus meiner Generation ist dies seltsam und ungewohnt. In der Schule behielt ich es zum Beispiel lieber für mich, wie sehr mich eine irischsprachige Erzählung von Peig Sayers begeisterte. Später sollte mir Peig als Vorbild für die Figur der Bean Uí Fhloinn in meinem Roman „The Colony“ dienen. Aber in den 1980er-Jahren wäre es für mich als 16-Jährige, die ich in einem Randbezirk von Dublin lebte, äußerst unklug gewesen, mich zu meinem Faible für Peig zu bekennen.

„Viele wollen auch schlicht wissen, wie ihre Vorfahren gesprochen haben, bevor ihre Länder kolonisiert wurden“

An diese Zeit erinnert mich heute eher die Situation in Nordirland, wo die Sprache nach wie vor Gegenstand von Konflikten und Spannungen ist. Im Jahr 2017 war einer der Gründe dafür, dass es zu einer Regierungskrise kam, der Streit darüber, welche Rolle die irische Sprache im Schulsystem spielen und ob sie auf Straßenschildern zu lesen sein sollte. In den vergangenen Jahren haben sich die Mitglieder der Unionistenpartei Ulsters, deren Loyalität London gilt, immer vehement dagegen gewehrt, dem Irischen im Alltag mehr Raum zu geben. Um den Konflikt zu entschärfen, hat das britische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den Gebrauch der irischen Sprache auf Straßenschildern und in Schulen erlaubt – was wiederum viele Unionisten verärgert.

Südlich der Grenze, abseits dieser politischen Verwicklungen, liegt Irisch voll im Trend. Es ist hip, und es profitiert vor allem davon, dass sich immer mehr junge Menschen für Minderheiten und ihre Kulturen interessieren, in Europa, aber auch anderswo auf der Welt, etwa in Australien, Afrika und Südamerika. Viele wollen auch schlicht wissen, wie ihre Vorfahren gesprochen haben, bevor ihre Länder kolonisiert wurden.

In Irland hat diese neue Beziehung zur eigenen Sprache tiefgreifende Auswirkungen auf die Literatur, die Musik und das Kino. Zweisprachige Werke wie Doireann Ní Ghríofas „A Ghost in the Throat“ oder Manchán Magans „Thirty-Two Words for Field“ sind nichts Ungewöhnliches mehr. Musikerinnen und Musiker singen auf Irisch, so wie die Rapperin Denise Chaila in ihrem Song „Anseo“, was so viel wie „hier“ oder „anwesend“ bedeutet, das Wort, das Kinder beim Appell in der Schule sagen müssen. Der bislang größte künstlerische Erfolg auf diesem Feld ist jedoch „An Cailín Cúin“, ein irischsprachiger Film, der für die diesjährige Oscar-Verleihung nominiert war.

Über Jahrhunderte diente die irische Sprache als politische Waffe, als Mittel und als Symbol, zunächst als die Engländer sie auslöschen wollten, und später, als die Nationalisten sie zum Zeichen ihres Patriotismus machten. Viele Irinnen und Iren meiner Generation wollten sich nicht in diesem polarisierten, politisierten Raum bewegen, und wir haben uns von der Sprache abgewandt. Umso erfreulicher ist es nun zu beobachten, wie unsere Kinder sich ihr wieder zuwenden.

Unbelastet von den alten Missständen, aufgewachsen in einem wohlhabenden Irland, dessen Alltag nicht mehr derart von politischen Konflikten und politisch motivierter Gewalt geprägt ist, können sich die jungen Leute wie Paul Mescal an der Sprache versuchen. Die Last der Geschichte wiegt nicht mehr so schwer. Für sie ist das Irische kein Mittel zum Zweck, kein Marker für Verrat oder Loyalität, sondern einfach eine schöne Sprache, Ausdruck eines reichen Erbes und Teil ihrer tiefen und weit verzweigten kulturellen Wurzeln.

Das Irische scheint, zumindest südlich der Grenze, an einem guten postkolonialen Punkt angelangt zu sein.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter