Denkmäler | Lettland

Goodbye, Putin!

Im Zweiten Weltkrieg wurde Lettland von der Roten Armee besetzt. Dieses Erbe wirkt bis heute nach. Doch durch den Krieg in der Ukraine ist plötzlich alles anders
Ein Denkmal von drei Männern in sowjetischer Militäruniform in Siegespose steht vor blauem Himmel. Der vorderste Mann hält sein Gewehr in die Luft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Lettland einige sowjetische Denkmäler errichtet

Sie haben in drei Tagen 250.000 Euro gespendet. Und das in Lettland, einem Staat, in dem die meisten Bürgerinnen und Bürger von niedrigen Löhnen leben; einem Land, in dem man eigentlich kein Geld für Dinge ausgibt, die keinen praktischen Nutzen haben. Ein Land mit einer Bevölkerung von 1,9 Millionen Menschen. Eine Viertelmillion Euro in nur drei Tagen, um ein Denkmal zu stürzen. Warum eigentlich?

Es geht um ein Problem, das seine Wurzeln in der Geschichte hat. Im Zweiten Weltkrieg besetzte die Rote Armee Lettland und die anderen baltischen Staaten – ein Zustand, der fast ein halbes Jahrhundert andauern sollte. Das hatten sich meine Großmutter und mein Großvater nicht ausgesucht. Für mich war es einfach: Die Spielregeln meines Lebens waren von Anfang an die eisernen Sowjetgesetze.

„Wir Jüngeren hatten unser Denken zu sehr mit jenem der Sowjetunion synchronisiert“

Natürlich wusste ich, dass die Welt da draußen größer war, doch es gab keine Hoffnung, dorthin zu gelangen. Wir passten uns an die Fremden, die Besatzer an, die woanders geboren waren, anders dachten; ahmten sie ein bisschen nach, um zu überleben. Zehntausende in sibirische Lager deportierte Menschen waren ein gutes Argument zu schweigen.

Wir schwiegen, natürlich nicht wörtlich – wir redeten, und zwar immer häufiger auf Russisch. In dieser Sprache war es einfacher, sich die Wünsche der Eingewanderten zu merken, eine Strategie für das Zusammenleben mit den Besatzern.

Als sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR alles änderte und unser Land wieder unabhängig wurde, erkannte nur die älteste Generation ihre alte Heimat wieder. Wir Jüngeren hatten unser Denken zu sehr mit jenem der Sowjetunion synchronisiert. Wir sind eine ängstliche Generation, die leichter in vorgefertigten Phrasen sprechen kann, als selbst zu denken.

Äußerlich sind wir von der neuen demokratischen Ordnung überzeugt, zugleich plagen uns aber Zweifel und Ängste. War denn wirklich die ganze Sowjetzeit schlecht? Sind wir nicht paranoid? Sind die Hunderttausende, die während der Zeit der Besatzung einwanderten und nicht im Traum daran dachten, unsere Sprache zu lernen, Teil von uns? Soll man ihnen erlauben, die russischen Nationalfeiertage zu feiern? Wo hört die Toleranz auf, wo beginnt die Unterdrückung?

„Der Krieg in Georgien? Die Annexion der Krim? Eine Woche, ein Monat der Bestürzung, und das wars“

Mein Beruf als Schriftsteller bringt es mit sich, meine Mitmenschen genauer zu betrachten, und ich habe viel über die Vergangenheit geschrieben, in der Hoffnung, dass wir uns der Geschichte stellen – und aus ihr erwachen. Zugleich fühle ich mich immer wieder wie ein unverbesserlicher Naivling. Es wird ja doch wieder nichts passieren, denke ich dann. Der Krieg in Georgien? Die Annexion der Krim? Eine Woche, ein Monat der Bestürzung, und das war’s. Aber dann ...

Die Viertelmillionen-Spende markiert nun den Moment, in dem mein Volk erwachte: In nur drei Tagen haben wir diese unglaubliche Summe aufgebracht, um den Abriss des sowjetischen Siegesdenkmals zu unterstützen, das nun Ende August 2022 unter lautem Jubel abgerissen wurde. Zuvor ging es jahrzehntelang hin und her in der Diskussion: Ist das Monument ein Symbol der Befreiung von den Nazis oder das einer Besatzung durch die UdSSR und der Bedrohung durch Russland?

Wir mussten uns erst vom Gift des Zweifels in unserem eigenen Bewusstsein befreien, bevor wir das Denkmal stürzen konnten. Der Auslöser dafür, diesen Kraftakt zu bewältigen, war natürlich der russische Überfall auf die Ukraine. Er hat alle Zweifel beseitigt. Mit der Spende haben viele Lettinnen und Letten, die lange schwiegen, erstmals ihre Stimme erhoben. Jetzt wird es darum gehen, uns unserer eigenen geistigen Stärke zu versichern.

Aus dem Lettischen von David Stasun