Selber machen!

„Offenheit ist gut fürs Geschäft“

Der israelische Designer Ronen Kadushin erklärt, warum er seine Entwürfe frei verfügbar ins Internet stellt. Ein Gespräch

Ein Porträt von Ronen Kadushin. Er trägt seine wenigen Haare sehr kurz. Zeigefinger und Daumen der rechten Hand liegen auf seinem Kinn. Er lächelt und schaut rechts an der Kamera vorbei.

Der Open Design-Begründer Ronen Kadushin

Herr Kadushin, Sie haben den Begriff „Open Design“ geprägt. Was macht ein Design „open“?

Es sollte ein gutes Design sein! (lacht) Aber im Ernst: Open Design ist eine Methode zur Herstellung von Dingen. Die Anleitung wird als gratis verfügbare Datei im Internet veröffentlicht. Damit kann jeder das Objekt mit digital gesteuerten Geräten wie CNC-Maschinen oder 3-D-Druckern selbst herstellen. 

Wie kamen Sie auf diese Idee?

In den frühen 2000er-Jahren arbeitete ich als Produktdesigner in Israel und war zunehmend frustriert von der herkömmlichen Art, Produkte herzustellen – von den Hierarchien, der Massenproduktion, den Lieferketten. Eine große Firma war an meinen Designs interessiert. Aber nachdem wir zwei, drei Monate lang diskutiert hatten, entschieden sie, die Sache fallen zu lassen. Damals dachte ich: Wie kann ich jemandem so viel Macht über meine Kreativität geben? Ich wollte ausprobieren, wie ich diesen Teufelskreis durchbrechen konnte. Ich wollte Designs erschaffen, die einfach zu bauen sind und leicht von jemand anderem modifiziert werden können. Und ich wollte klar machen, dass Design politisch ist. 

Open Design ist politisch?

Ja, denn es bedeutet die Freiheit, alles herzustellen, alles auszudrücken, was mir in den Sinn kommt, und es anderen Menschen zur Verfügung zu stellen. Open Design ist politisch, weil es sich von der Hierarchie der Märkte löst. Objekte und Produkte gelangen auf völlig andere Weise in die Welt. Die Politik des Open Design besteht darin, dass man das Industriedesign mit dem Fuß anstupst, um zu sehen, ob es noch am Leben ist (lacht)

Welche Rolle haben dabei neue Technologien wie 3-D-Drucker gespielt?  

Open Design, wie wir es heute kennen, gäbe es nicht ohne technische Innovationen. Ich wurde von Open-Source-Software inspiriert. Natürlich bin ich nicht der Erste, der Entwürfe gratis zur Verfügung gestellt hat, aber ich war der Erste, der dies auf digitalem Wege getan hat. Bevor es das Internet gab, musste man Pläne auf Papier teilen und alles von Grund auf konstruieren. Aber jetzt, wo wir digitale Dateien haben und die Technologie der 3-D-Drucker sich rasant weiterentwickelt, tun sich überall neue Möglichkeiten auf. In ein paar Jahren wird alles aus 3-D-Druckern kommen, von Ersatzorganen für den menschlichen Körper bis hin zu Gebäuden.

Im Jahr 2010 haben Sie Ihre Gedanken als „Open Design Manifest“ auf Ihrer Webseite veröffentlicht. Wie ist das damals angekommen und wie schauen Menschen heute auf Ihre Ideen? 

Es ist erstaunlich: Das Manifest wird ständig zitiert, dabei habe ich es nur als Gefallen für einen Freund verfasst! Für eine Designausstellung bat er mich, ein Manifest zu schreiben. Also habe ich etwas geschrieben und es auf meiner Webseite veröffentlicht. Im großen Ganzen weiß ich allerdings nicht, ob meine Arbeit zum Open Design etwas verändert hat. Ich sehe aber eine gewisse Offenheit: Mittlerweile macht sogar Ikea Open Design. Die großen Firmen sehen langsam ein, dass die Welt sich verändert und dass sie mit etwas Offenheit mehr erreichen können. Es ist gut fürs Geschäft. Und auch an den Universitäten treffe ich mittlerweile immer wieder Studierende, die in meine Fußstapfen treten. Trotzdem wird in der Designausbildung immer noch gelehrt, dass man seine Ideen für sich behalten und geistiges Eigentum sorgfältig hüten müsste. 

Auch Sie haben eine solche Designausbildung durchlaufen. Wie hat es sich angefühlt, Ihre Designs erstmals gratis im Netz zu veröffentlichen?

Es war furchterregend! Doch die ersten Reaktionen waren positiv. Damals fühlte ich mich in Israel zu etabliert, ich war dort Professor an der Universität. Meine Frau und ich suchten das Abenteuer, also zogen wir 2005 nach Berlin. Seitdem widme ich mich dem Open Design. Mittlerweile bekomme ich viel Anerkennung dafür. Die Menschen sind dankbar und respektieren, was ich tue.

Bekommen Sie Rückmeldungen von Leuten, die Ihre Designs heruntergeladen und nachgebaut haben?

Manchmal schicken Leute mir Fotos, meistens vom „Italic Shelf“. Das ist ein Regal und mein beliebtester Download. Ich bekomme Nachrichten von überall aus der Welt. Aber erstaunlicherweise ändern sie nicht viel an dem Design selbst.

Hatten Sie erwartet, dass die Leute mehr experimentieren?

Ja, aber mittlerweile denke ich, dass viele Leute eher nach einer Lösung suchen statt nach einem Experiment. Viele wollen ein Designobjekt haben. Sie finden, dass es perfekt ist, wie ich es designt habe, und wollen selbst gar nichts daran ändern. Aber ich habe eine lustige Geschichte erlebt, was Open Design bewirken kann: Vor einigen Jahren wurde ich als Berater zum Thema Open Design in das Design-Innovationsstudio von BMW eingeladen.

Ich war sehr überrascht, dass dieser Konzern mich als Berater wollte – schließlich ist BMW der Elefant und ich bin nur eine Ameise! Ich hielt also den Workshop und hörte nichts mehr von der Firma. Ein Jahr später traf ich zufälligerweise den Chefdesigner von BMW bei einer Konferenz. Und er sagte: „Wir wissen, wie man Autos baut, und wir bauen seit hundert Jahren gute Autos.

Aber wir wissen nicht, wie wir mit einer Welt umgehen sollen, die sich so schnell verändert, inklusive der Klimakrise.“ Anscheinend haben sie auf der Grundlage einer meiner Entwürfe ein Konzeptauto designt. Leider habe ich es nie zu Gesicht bekommen, obwohl ich sehr neugierig bin ...

Welches Ihrer Designs hat für den größten Wirbel gesorgt?

Eindeutig der „iPhone-Killer“. Das ist ein Hammer, der aussieht wie ein iPhone. 2010 ging er viral. Ich bekam sogar Hassbotschaften von iPhone-Fans. Aber natürlich war das eher ein Spaßdesign, nicht Teil meiner wichtigsten Werke. 

Und was betrachten Sie als Ihr wichtigstes Werk?

Eines meiner politisch relevantesten Designs ist das Konzept der „Bearina IUD“. Das ist das Konzept einer 3-D-druckbaren Spirale zur Empfängnisverhütung. Mit dem Design wollte ich darauf aufmerksam machen, dass Verhütungsmittel weltweit viel zu teuer sind. Eine ungewollte Schwangerschaft kann Leben ruinieren – und trotzdem werden die Kosten für Spiralen, die ja ein sehr sicheres und beliebtes Verhütungsmittel sind, nicht von den Krankenkassen übernommen. Sie kosten mehrere Hundert Euro.

Also habe ich ein 3-D-druckbares Spiralendesign entworfen, das lokal produziert werden kann. Das Ergebnis sieht aus wie ein Bär, in der Mitte befindet sich eine Ein-Cent-Münze, die das Kupfer für die spermizide Wirkung liefert. So kostet eine Spirale nur wenige Cent. Es gab jede Menge Reaktionen darauf. Sogar die Familienplanungsbehörde der Vereinten Nationen rief mich an, um zu fragen, ob ich mit ihnen zusammenarbeiten möchte. Aber ich musste überall Warnhinweise hinzufügen: Mein Design ist nur ein Konzept, man kann es nicht verwenden! Ich bin ja kein Gynäkologe.

Aber es wäre toll, wenn jemand diese Idee tatsächlich aufgreifen und eine medizinisch sichere Spirale als Open Design entwickeln würde. Momentan ist ein wirklich guter Zeitpunkt, um zu beobachten, wie Open Design im medizinischen Kontext funktionieren kann: Während der Corona-Pandemie haben viele Menschen Anleitungen für Schutzmasken und Beatmungsgeräte zum Selberbasteln geteilt. Die vergangenen Monate waren ein Stresstest für Lieferketten und die Do-it-yourself-Bewegung konnte bei der Krisenbewältigung etwas helfen. 

Das Interview führte Gundula Haage

Aus dem Englischen von Caroline Härdter