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„Worauf könnten Sie niemals verzichten?“

Was braucht es für ein gutes Leben? Von Kanada über Südafrika bis Pakistan haben wir Menschen rund um die Welt gefragt, ohne welche Dinge sie nicht leben könnten

Ein Glas Wein, darauf sitzt ein Schmetterling, ein Zweig windet sich darum.

T.C.Boyle könnte theoretisch auf alles verzichten - außer auf Wein

„Auf alles, absolut alles, außer auf Wein“

Ich könnte niemals ohne die offene Landschaft leben, ohne saubere Luft und ohne sauberes Wasser, und ohne die Gegenwart der anderen Lebewesen unserer Erde, die angesichts des Erfolgs unserer Spezies zum Rückzug gezwungen wurden. Darum versuche ich so viel wie möglich einzusparen – Wasser, Platz, Rohstoffe. Mein baumbewachsener Garten in der kalifornischen Kleinstadt Montecito ist ein Zufluchtsort für wilde Kreaturen, einschließlich des vom Aussterben bedrohten Monarchfalters, der seit Urzeiten während seiner saisonalen Wanderungen in diesen Bäumen hier Rast macht.

Ich versuche also, ein einfaches Leben zu führen, aber meine Frau vereitelt das – sie ist Fleischfresserin und konsumiert alles, was irgendwer produziert. Sie ist auch vollkommen versessen aufs Shoppen, sie neutralisiert mich. Aber, um die Frage abschließend zu beantworten, worauf könnte ich verzichten? Auf alles, absolut alles, außer auf Wein.


T. C. Boyle, einer der bekanntesten Schriftsteller der USA. Zuletzt erschien sein Roman „Sprich mit mir“ (Hanser, München, 2021).

„Hauptsache, es sind aufrichtig interessierte Gespräche“

Die größte und wichtigste Inspiration für mich als Autorin, aber auch ganz einfach als Mensch, sind Gespräche. Ich werde nie darauf verzichten können, mich mit Menschen zu unterhalten, über die großen Fragen des Lebens, oder über scheinbare Nichtigkeiten, bei einem Abendessen, auf einer Parkbank, vor der Clubtoilette, im Internet. Gespräche mit Menschen, die mir nahe sind, oder Menschen, die ich überhaupt nicht kenne. Hauptsache, es sind aufrichtig interessierte Gespräche, die nicht auf Werbung oder Verkauf abzielen, sondern einfach nur aufs Sprechen.


Fatma Aydemir, Journalistin und Autorin in Berlin. Zuletzt erschien ihr Roman „Dschinns“ (Hanser, München, 2022).

„Ich werde auf jeden Fall immer Papier benutzen“

Ich schreibe meine Romane auf dem Computer, drucke den Text aber sukzessive aus, um ihn anschließend zu redigieren. Jeden Tag tigere ich also mit neuen Seiten in der Hand durch mein Büro, lese sie mir laut vor und kritzle mit einem Bleistift Anmerkungen an den Rand. Dann tigere ich noch etwas weiter und lese noch ein wenig mehr. Außerdem schreibe ich Ideen in ein Notizbuch. Okay, ich tippe sie auch in mein Telefon und meinen Computer, klar, aber vor allem schreibe ich sie in mein Notizbuch aus Papier.

Vielleicht werde ich eines Tages nur noch recyceltes Papier verwenden oder Papier, das man aus aufwendig aus der Luft herausgefiltertem Kohlenstoff gepresst hat – kann sein, aber wie auch immer: Ich werde auf jeden Fall immer Papier benutzen. Es ist eine Art Symbol für meine Generation und längst ein so essenzieller Bestandteil meines Schreibprozesses, dass ich einfach nicht mehr darauf verzichten kann.


Mohsin Hamid wurde 1971 in Lahore geboren und lebt als Schriftsteller in London. Zuletzt erschien sein Roman »The Last White Man« (Riverhead Books, New York City, 2022).

„Ich liebe Kunst, und ich liebe Handgemachtes“

Eines Morgens spürte ich nach dem Aufwachen eine überwältigende Sehnsucht nach Schönheit. Es war die Sehnsucht nach einem Objekt, das mich daran erinnern würde, dass mein Leben noch immer erfüllt und voller Wunder ist, obwohl das Jahr auch materiell sehr entbehrungsreich war. Ich liebe die Kunst, ich liebe handgemachte Objekte. Also recherchierte ich südafrikanische Keramik und stieß auf die Marke lungijoe ceramics.

Mein Budget betrug umgerechnet hundert Euro und war schnell ausgegeben, als ich die Vase mit dem Namen Umjelo Wokuza sah. Sie wurde von der Künstlerin Lungiswa Joe gestaltet, die von afrikanischen Hochkulturen wie jener der Khoikhoi und Xhosa beeinflusst ist. Mich erinnert der Blauton der Vase an die Fassaden der nordmarokkanischen Stadt Chefchaouen und an den Ozean, dessen Anblick mich immer beruhigt hat. Ich bin kreuz und quer durch unseren Kontinent gereist und habe fantastische Abenteuer erlebt, die mich gleichzeitig immer wieder meiner selbst vergewissert haben.

Indem ich mich in meinem Alltag mit solchen Andenken umgebe, halte ich die Erinnerung an sie lebendig. Außerdem ist die Vase einfach ein wunderschönes Kunstwerk, das mir angesichts der kommenden globalen Rezession, die unser aller Leben beeinflussen wird, Hoffnung gibt.


Lerato Mogoatlhe ist Journalistin und Reiseschriftstellerin und lebt in Südafrika. 2019 erschien ihr Buch „Vagabond: Wandering Through Africa on Faith“ (Jacana Media, Johannesburg, 2019).

„Das Sakrament des Abendmahls gehört einfach zu meinem Leben dazu“

Heutzutage ist es nicht gerade in Mode, religiös zu sein. Wer gläubig ist, behält es meistens eher für sich. Doch bei mir ist das anders. Als Christin ist mir mein Glaube sehr wichtig – und vor allem das Sakrament des Abendmahls gehört einfach zu meinem Leben dazu. An diesem Ritual teilzunehmen bedeutet für mich, Teil der Menschheit zu sein und in der Welt Verantwortung zu tragen.

Seit ich zwölf Jahre alt bin, habe ich regelmäßig das Abendmahl empfangen und meine Mutter ging mit mir ein letztes Mal zur Kommunion, kurz bevor sie im Hospiz starb. Deshalb war es während der Corona-Pandemie und des Lockdowns in Kanada auch sehr schwierig für mich, nicht in die Kirche gehen zu können. In den vergangenen Monaten auf die heilige Kommunion verzichten zu müssen, hat eine unsichtbare Wunde gerissen. Auch weil wir in dieser schrecklichen Zeit doch alle besonders trostbedürftig waren.


Adrienne Clarkson, 1939 in Hongkong geboren, ist Diplomatin und Journalistin. Von 1999 bis 2005 war sie die 26. Generalgouverneurin Kanadas und vertrat in diesem Amt Königin Elisabeth II. als Staatsoberhaupt. Clarkson lebt in Toronto.

„Meine Werte, meine Überzeugungen und die Menschen, die ich liebe“

Ich habe auf die harte Tour gelernt, was es heißt, auf bestimmte Dinge zu verzichten: Ich musste mein Heimatland Russland hinter mir lassen, meinen Alltag, meine Geige und meine Karriere als Violinist. Seit 2019 gehe ich als Klimaaktivist auf die Straße, weil ich einfach nicht mehr mitansehen konnte, dass bei uns kaum jemand etwas gegen die Klimakatastrophe tut. Dafür habe ich viel Gegenwind bekommen.

Es wurde immer schwieriger, meine Musikkarriere als Violinist am Konservatorium von Moskau und den Aktivismus miteinander zu verbinden. In den vergangenen Jahren habe ich ständig damit gerechnet, verhaftet zu werden, denn das ist der Preis, den viele meinungsstarke Menschen in Russland zahlen. Als die russische Armee dann im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, wurde es noch schlimmer. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als aus dem Land, das ich liebe, zu fliehen. Nur mit einem gepackten Koffer und meiner Partnerin habe ich Russland verlassen und alles andere hinter mir gelassen.

Im Oktober 2022 erfuhr ich, dass die russische Regierung ein beispielloses Verfahren gegen mich eingeleitet hat, um mir die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Ich werde also bald staatenlos sein. Was mir da noch bleibt? Meine Werte und Überzeugungen und die Menschen, die ich liebe. Das ist es, worauf ich niemals verzichten könnte.


Arshak Makichyan wurde 1994 in Jerewan geboren, ist Klimaaktivist und war Geigenstudent am Moskauer Konservatorium. Derzeit hält er sich in Deutschland auf.

„Geschichten zu erzählen, ist für mich fundamental“

Ich bin während des Bürgerkriegs im Südsudan aufgewachsen und musste wie viele Menschen in meiner Generation ohne Eltern auskommen. Das Geschichtenerzählen gab mir die Kraft weiterzumachen. Fast jeden Tag führten ich und meine Freunde kleine Storys oder Sketche auf. Wir kompensierten damit unseren Schmerz und kreierten imaginäre Rückzugsorte. Für mich persönlich war das sehr wichtig, es gab mir Hoffnung, zeigte mir neue Perspektiven auf, um mein Leben zu reflektieren. Das ist bis heute so.

Das Geschichtenerzählen ist fundamental, um den Dingen, die uns in der Vergangenheit widerfahren sind, einen Sinn abzuringen. Wir lernen von den Erfahrungen anderer und integrieren sie, machen sie für unsere eigenen Leben fruchtbar. Das verbindet uns als menschliche Wesen. Selbst beim Spazierengehen drifte ich oft in Tagträume ab. Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. So bleibe ich kreativ und finde Lösungen für meine alltäglichen Probleme, die mich oftmals zu überwältigen drohen.


Simon Bingo wurde 1986 im Sudan geboren. Der Filmemacher ist Gründer des Juba International Film Festival, des ersten Festivals dieser Art im Südsudan.