Lamya Kaddor mag es noch so selbstverständlich finden, den Islam als gleichberechtigte und moderne Religion auszulegen, doch zum Islamdiskurs in Deutschland will es nicht so recht passen. Kein Wunder also, dass sich die junge Religionspädagogin in ihrem neuen Buch zu Integration und Islam in Deutschland äußert. Sie schildert, wie sie sich als Lehrerin für Islamkunde behauptet hat, wie Muslime auf ihre Neu-Übersetzung von Koranstellen und auf ihr Schulbuch für den Islamischen Religionsunterricht reagiert haben und was ihrer Meinung nach falsch läuft mit der Integration des Islam in Deutschland. Es ist wohltuend, dass Lamya Kaddor sich nicht eindeutig auf eine Seite schlägt. An den Islamkritikern, die gerne monokausal alles, was Muslime tun, auf den Islam zurückführen und in fahrlässiger Weise verallgemeinern, lässt die Autorin zwar kein gutes Haar.
Zu den pauschalen Islamverteidigern kann man sie jedoch ebenso wenig zählen, weil sie umfassende Änderungen fordert. Für die Autorin steht die Frage im Vordergrund, was Gott im Hier und Jetzt zu den Gläubigen sagen würde. Wenn sie zu dem Schluss kommt, das Kopftuch habe damals eine „Schutzfunktion“ erfüllt, die heute in Deutschland besser von einem funktionierenden Rechtsstaat erfüllt werden kann, so ist das natürlich für viele Muslime schwer verdaulich. Zugleich betont Kaddor jedoch, dass sie das Kopftuch nicht ablehnt und Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen absolut zu verurteilen sei.
Leider verknüpft die Autorin ihr so wichtiges Thema der historisch-kontextuellen Auslegung mit der Integrationsdebatte, mit dem Tenor: Die Integration würde besser laufen, wenn man den Islam „zeitgemäßer“ auslegte. Das ist schade, denn damit räumt sie dem Faktor „Religion“ in dieser Frage ein viel zu hohes Gewicht ein. Ihr pädagogischer Anspruch, die Jugendlichen zu befähigen, religiöse Autoritäten und bestimmte Auslegungen religiöser Quellen anhand von Wissen zu hinterfragen, ist richtungsweisend.
Muslimisch, weiblich, deutsch! Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam. Von Lamya Kaddor. C.H. Beck, München, 2010.