Literatur | Ghana

Die Enkel des Königs

Nana Oforiatta Ayim spürt in ihrem Debütroman ihren Wurzeln in Ghana nach

Als Ende April die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria bekannt gegeben wurde, vergaß der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger nicht zu betonen, „dass weiterhin Objekte dieser Kunst, die wirklich herausragend ist, in Berlin und anderen deutschen Museen gezeigt werden“.

Das ist mehr Wunsch als Wirklichkeit, denn die postkolonialen Staaten haben aus der Erfahrung des ersten vergeblichen Kampfs um ihre Kunstschätze  ihre Lehren gezogen. Zumal in vielen afrikanischen Staaten längst junge Museumsmacher und Politikerinnen die Debatten beeinflussen.

Zu ihnen gehört auch Nana Oforiatta Ayim, Kunsthistorikerin, Filmemacherin und Enkelin des Königs der ghanaischen Region Abuakwa. Anfang der 1980er-Jahre in Deutschland geboren, verbrachte sie ihre Jugend in Europa. Sie studierte Politik und arbeitete für die Vereinten Nationen, bevor sie in London über afrikanische Kulturen promovierte. Danach zog sie nach Ghana, wo sie das ANO Institute of Arts and Knowledge gründete.

Oforiatta Ayim gilt als eine der bedeutendsten afrikanischen Frauen der Gegenwart. Im ANO-Institut verfolgt sie den Plan, die Kulturgeschichte Afrikas aus afrikanischer Perspektive neu zu schreiben. Wie Oforiatta Ayim Tradition und Gegenwart kunsthistorisch zusammenführt, konnte man 2019 bei der Biennale in Venedig sehen, wo sie den ersten Pavillon Ghanas gestaltete.

Im selben Jahr erschien ihr Debütroman „The God Child“, der nun in der Übersetzung von Reinhild Böhnke vorliegt. In ihm fließt all das zusammen, was sie prägt: biografisches und kulturelles Erbe, Kindheitserinnerung und Landesgeschichte, Aufbruch und Tradition. In „Wir Gotteskinder“ erzählt Maya Mensah – eine Art Alter Ego – von ihrem Aufwachsen in Deutschland und England sowie ihrer Rückkehr in die Heimat ihrer Familie.

Während ihre Mutter in den Erzählungen ihrer royalen Wurzeln schwelgt, bringt ihr der Vater die westliche Buch- und Filmkultur nahe. Dennoch bleibt sie die Fremde, sodass sie sich bald wie E. T. und Mogli fühlt – „weit weg von zu Hause“. Ihr Cousin Kojo, den ihre Eltern aufnehmen, wird ihr Halt. Seine märchenhaften Geschichten vom Königreich Kaba, über das ihr gemeinsamer Großvater regiert, wirken wie Schlüssel zu den geheimen Kammern ihrer eigenen Identität.

„Der Roman erzählt vom Willen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“

In der Erzählung von Kojo und Maya steckt viel von dem, was People of Color über das Leben in Europa berichten. Auch wenn das hier keine Erzählung materieller Entbehrungen ist, steckt sie voller Rassismus- und Fremdheitserfahrungen. Sie handelt aber auch von der Intimität zweier Verbündeter auf der Suche nach Zugehörigkeit.

Als junge Frau zieht Maya nach Ghana, wo Kojo längst ein einflussreicher Strippenzieher ist. Nun überlagert sich die Erzählung des ruhmreichen Königreichs, dem Kojo ein eigenes Museum widmen will, mit dem Aufbruch einer postkolonialen Nation. Die beiden königlichen Nachkommen erhalten hier eine Brückenfunktion.

Sie schultern einerseits die toxische koloniale Geschichtsschreibung und Last der Ahnenreihe, tragen andererseits aber auch die Ideale des Neuanfangs. „Die Geschichte meines Königreichs war überwiegend durch seine Artefakte erzählt worden; ihre Darbietungsweise und ihre Bedeutung wurden unterwegs entstellt, vernachlässigt, gingen verloren. Jetzt war es an uns, an Kojo und mir, sie wiederherzustellen, Geschichten zu schaffen, die neben all dem Bestand hatten.“

„Wir Gotteskinder“ ist eine solche Geschichte, die trotz aller Ambitionen literarisch nicht immer glänzt. Die einzelnen Teile der Erzählung stehen eher nebeneinander, als dass sie motivisch verschränkt sind, einige Figuren sind recht grob geschnitzt. Und dennoch trägt dieser Roman viel in sich. In den europäischen Kapiteln klingen Vorläufer von Toni Morrison oder Jamaica Kincaid an.

In den Ghana-Episoden ergänzt Oforiatta Ayim das Bild der komplizierten Identitäts- und Nationenbildung, das jüngere Gegenwartsautorinnen mit afrikanischen Wurzeln wie Yaa Gyasi, Chigozie Obiama oder Teju Cole zeichnen. Dabei unterschlägt sie nicht den Schmerz, mit dem einst Wole Soyinka oder Ngũgĩ wa Thiong’o die postkolonialen Brüche und Fehlentwicklungen kommentiert haben.

Sie ergänzt ihn mit einem gesunden Zorn und dem Willen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. In diesen Momenten des Aufbruchs und der Erregung ist der Roman am stärksten.

„Es ist an der Zeit, unsere eigenen Geschichten zu erzählen“, heißt es in „Wir Gotteskinder“. Seine Autorin steht exemplarisch für Afrikas neue kreative Generation, die endlich gestalten und ihre Kunst in eigenen Museen zeigen will.

„Wir Gotteskinder“, von Nana Oforiatta Ayim. Penguin Verlag, München 2021