Literatur | Südafrika

Buchclubs und die neue Schwarze Literaturszene

Südafrikanische Verlage haben kaum Angebote für Schwarze Leser parat. Doch Schwarze Communities sind geradezu hungrig nach Literatur – vor allem nach ihrer eigenen
Die Illustration zeigt viele Figuren in einem Muster, ein Motiv ist ein Porträt des Autors Outlwile Tsipane

Ende 2019 beauftragte mich einer der führenden Verlage Südafrikas damit, eine Veranstaltung für März 2020 zu organisieren. Der Abend sollte die Buchclubs feiern – und ihren Beitrag zu einer lebendigeren Lesekultur. Es sollte ein bunter Abend werden, an dem Autoren und Leser über aktuelle und kommende Buchprojekte sprechen. Leider kam es anders, COVID-19 verhinderte die Veranstaltung.

Es wäre eine schöne Anerkennung des Verlages für die Tatsache gewesen, dass Buchclubs derzeit entscheidend dazu beitragen, falsche Prämissen in der südafrikanischen Literaturszene zu widerlegen. Es gibt nämlich die verzerrte, aber leider immer noch sehr verbreitete Vorstellung, dass Schwarze einen absolut unbedeutenden Anteil am literarischen Leben Südafrikas haben.

„Das Apartheidregime hat der Schwarzen Bevölkerung kulturelle Ressourcen systematisch verweigert“

Neben vielen anderen Diskriminierungen hat das Apartheidregime der Schwarzen Bevölkerung auch kulturelle Ressourcen systematisch verweigert. In vielen Gemeinden, die von dem System der Segregation betroffen waren, gab es entweder überhaupt keine Bibliotheken und Kunstzentren, oder sie boten nur stark eingeschränkte Dienstleistungen. Das beeinträchtigte die Bildungschancen der Schwarzen Bevölkerung massiv, während andere Bevölkerungsgruppen Zugang zu besseren Infrastrukturen hatten.

Um dieses Elend noch zu vergrößern, waren etliche wichtige Romane Schwarzer Autoren wie zum Beispiel „Muriel at Metropolitan“ (1975) von Mariam Tlali oder „Down Second Avenue“ (1959) von Es’kia Mphahlele während der Apartheid lange verboten. Schwarze Gemeinschaften in Südafrika hatten daher lange Zeit praktisch keinen Zugang zu Büchern und Literatur.
 

Schwarze Leser ohne Bücher

Dieses historische Ungleichgewicht besteht auch nach dem Ende der Apartheid vielerorts fort, und es dauert frustrierend lange, es zu überwinden. Bibliotheken, die in der Post-Apartheid-Ära errichtet wurden, verfügen oft nicht über die erforderliche Kapazität: Viele sind völlig vernachlässigt oder bieten nicht genügend Bücher an.

Buchläden entstehen meist in Gegenden, zu denen Schwarze nur flüchtigen Zugang haben. Und wenn dann doch einmal ein neuer Laden oder ein neues literarisches Angebot für die Schwarze Community zugänglich ist, sind die angebotenen Bücher für diese Leserschaft oft schlicht nicht relevant, weil diese Literatur weitgehend aus dem Westen stammt und nur wenige Titel von Schwarzen oder afrikanischen Autorinnen und Autoren umfasst.

„Menschen lesen und kaufen naturgemäß am ehesten solche Bücher, zu denen sie einen Bezug haben“

Dieses Unvermögen, die Bedürfnisse der Schwarzen Leser in Südafrika zu verstehen, hat zu einem verzerrten Bild davon geführt, wer in Südafrika Bücher liest und Bücher kauft. Wichtige verlegerische Entscheidungen beruhen auf dieser Verzerrung.

Die Schwarze Leserschaft wurde von vornherein benachteiligt: Es wurde fälschlicherweise angenommen, dass sie keine Bücher kaufen, während ihnen in Wirklichkeit Bücher verkauft wurden, die nicht ihren Interessen entsprachen.

Menschen lesen und kaufen jedoch naturgemäß am ehesten solche Bücher, zu denen sie einen Bezug haben – ein einfacher aber grundlegender Punkt, den das literarische Establishment in Südafrika anscheinend völlig übersehen hat.

Buchclubs: Die neue Schwarze Literaturszene

Inmitten dieser ungünstigen Umstände haben nun in jüngster Zeit eine Reihe von Buchclubs eine aufblühende Literaturszene geschaffen – und lassen damit einige der alten Mythen bröckeln.

Immer häufiger werden Autoren zu Buchclubsitzungen eingeladen, in Räumen, die einen informellen und damit fruchtbaren Austausch ermöglichen. Ich war Mitglied in einigen Buchclubs und habe mehrere andere als Gast oder Beobachter besucht.

Ich habe von etlichen Autorinnen und Autoren gehört, dass sie solche Veranstaltungen sehr mögen, denn sie ermöglichen gute und ungezwungene Gespräche. Für die Autoren kann es eine Gelegenheit sein, ihre Leser kennen zu lernen und die Dinge aus ihrer Perspektive zu sehen, und zwar in einem entspannten Rahmen. 

Offizielle Buchvorstellungen finden oft weit weg von jenen Menschen statt, die angeblich keine Bücher kaufen. In Johannesburg etwa, dem künstlerischen und wirtschaftlichen Epizentrum Südafrikas, finden Book Launches in der Regel mitten in der Woche in einem Einkaufszentrum statt, immer in denselben drei oder vier Stadtvierteln.

Aufgrund der eingeschränkten öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt können viele Leser daran gar nicht teilnehmen – doch darauf wird keine Rücksicht genommen.

Im Frühjahr 2022 organisierte ich eine Buchvorstellung für Fred Khumalos Roman „Two Tons O’ Fun“. Als ich das Buch las und feststellte, dass es in Alexandra Township spielt, beschloss ich, eine der Veranstaltungen dort vor Ort zu organisieren.

In Alexandra wohnen schätzungsweise über 700.000 Einwohner – ohne eine nennenswerte Buchhandlung. Zwei Wochen vor dem Book Launch hatte ich mein Exemplar von „Two Tons O’ Fun“ an die lokale Bildungsakademie gespendet, die die Veranstaltung ausrichtete; zum Zeitpunkt der Veranstaltung hatten es bereits sechs verschiedene Studenten gelesen.

„Schwarze Menschen wollen Geschichten lesen, mit denen sie sich identifizieren können und die sie repräsentieren“

Die Buchvorstellung selbst wurde von allen möglichen Leuten besucht – Buchliebhabern, Studierenden und Geschäftsleuten aus dem Township. In den Gesprächen an diesem Abend war immer wieder zu hören, dass die Besucher es sehr zu schätzen wussten, dass – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – eine Buchveranstaltung in Alexandra stattfand.

Es sind aber nicht nur die Buchclubs, die die verzerrte Sichtweise der südafrikanischen Verlagsbranche in Frage stellen. Buchfestivals wie das Abantu Book Festival und Verlage wie Black Bird Books und Vhakololo Press, die von der und für die Schwarze Community gegründet wurden, haben sich in einem sehr schwierigen Umfeld behauptet.

Bücher sind im südlichen Afrika schwer zu beschaffen

Nicht nur in Südafrika selbst, sondern auch in unseren Nachbarländern habe ich immer wieder eine große Sehnsucht nach Literatur erlebt, die häufig dadurch behindert wird, dass Bücher schlichtweg schwer zu bekommen sind. 2018 begab ich mich auf eine persönliche Bildungstour und reiste zu literarischen Auftritten und Buchvorstellungen in Botswana, Eswatini, Simbabwe und Nigeria.

Außerdem leitete ich Tourneen in ganz Südafrika und in den Nachbarländern für südafrikanische Schriftsteller wie Angela Makholwa, Fred Khumalo, Zukiswa Wanner, Nozizwe Cynthia Jele und Niq Mhlongo

Diese Reisen waren nicht nur aufregend, sie zeigten mir auch, dass es in Südafrika und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent einen regelrechten Hunger nach Büchern und Gesprächen über Bücher gibt, dass aber das Angebot der Nachfrage stark hinterherhinkt.

In Mbabane zum Beispiel, der Hauptstadt von Eswatini, war Ende Mai 2018 eine Lesung mit Diskussion geplant. Die Zuhörer mussten über eine Stunde warten, weil wir durch Verzögerungen an der Grenze aufgehalten wurden – doch sie blieben ganz geduldig.

„In Südafrika und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent gibt es einen regelrechten Hunger nach Büchern, aber das Angebot hinkt der Nachfrage hinterher“

In der simbabwischen Hauptstadt Harare kamen im Juli 2018 enorm viele Menschen in das Theater im Park, um Panashe Chigumadzi bei der Vorstellung ihres neuen Buches „These Bones Will Rise Again“ zu sehen – das größte Publikum, das ich je bei einem Book Launch gesehen habe. Alle Exemplare ihres Buches waren sofort ausverkauft. Eine Woche später, bei der Vorstellung in Johannesburg, war der Zuspruch ähnlich hoch.

Im September 2018 fand das erste Gaborone Book Festival statt – und damit das erste Literaturfestival in Botswana überhaupt. Ich hatte Schwierigkeiten, die Bücher mancher Autoren und Autorinnen des Festivals pünktlich zu beschaffen, damit die Organisatorinnen sich vorbereiten konnten.

Hohe Kosten und lange Lieferzeiten machten die Zustellung per Kurier unmöglich, und so machte ich einen Abstecher zum Flughafen um zu prüfen, ob ich einen Flug von Air Botswana als unkonventionellen Lieferdienst nutzen konnte – was mir schließlich auch gelang. Diese und viele ähnliche Fälle zeigen, wie die reine Beschaffung der Bücher die Verbreitung von Literatur oftmals behindert.

Leser finden ohne Verlag

Manche Umbrüche im Verlagswesen kommen unerwartet. Die Schriftstellerin Dudu Busani-Dube etwa veröffentlichte ihre „Hlomu“-Buchreihe im Selbstverlag und erreichte damit viele Leser und Leserinnen.

2021 wurde der Stoff von Showmax zu einer erfolgreichen Fernsehserie verarbeitet. Das ist eine außergewöhnliche Leistung – eine Premiere für unser Land – und eine bezeichnende Entwicklung: Schwarze Menschen wollen Geschichten, mit denen sie sich identifizieren können und die sie repräsentieren.

Doch die Literaturindustrie scheint die Veränderungen der letzten Jahre nur langsam zu reflektieren – sie bietet weiterhin Bücher und Buchveranstaltungen an, die nur einen Teil der Leserschaft ansprechen und ein verzerrtes Bild der potenziellen Buchkäufer ergeben.

Stattdessen sind es die Buchclubs und ihre leidenschaftlichen Leser und Leserinnen, die das traditionelle Bild verändern. Sie sind zu einer Art Literaturaktivisten geworden, die die literarische Kultur Südafrikas aktiv umgestalten.

Aus dem Englischen von Sandra Rendgen. Wir schreiben das Wort „Schwarz“ hier groß wie auch der Autor im englischen Original, da es als Selbstbezeichnung und sozialpolitische Kategorie benutzt wird.

Dieser Essay enstand im Rahmen der Serie „Afrikanische Literatur heute“ in Kooperation mit dem African Book Festival in Berlin. 2022 wurde das Festival kuratiert von dem südafrikanischen Autor und Filmemacher Lidudumalingani und nahm insbesondere Literatur aus dem südlichen Afrika in den Blick.