Alltag | Polen

„Ich habe mit Schutzbrille fotografiert“

Die polnische Fotografin Natalia Kepesz reiste für ihre Fotostrecken in ihre Heimatstadt Goldberg - und in ein militärisches Sommercamp für Kinder

Ein etwa 14 jähriger Junge in Militär Uniform sitzt unter einer olivgrünen Plane an einem Baum. Er schaut unter der Plane hervor. Am Baumstamm lehnen zwei Waffen.

Junge in einem militärischen Wochenendcamp in der Nähe von Danzig

Interview von Gundula Haage

Ein altes Haus und sein Besitzer am Rande der polnischen Kleinstadt Goldberg (Złotoryja)

Frau Kepesz, wir stellen in unserem Schwerpunkt zu Polen zwei Ihrer fotografischen Essays vor. Einer heißt  „Goldberg“, nach einer Stadt in Niederschlesien (heute Złotoryja). Sie selbst sind dort geboren, was verbinden Sie mit Ihrer Heimat?

Ich kenne das Gefühl der Wurzellosigkeit sehr gut. In Goldberg gibt es niemanden, dessen Familie seit Generationen dort lebt. Als Niederschlesien nach 1945 polnisch wurde, flohen die dort lebenden Deutschen. Mitten in der Natur sind die Ruinen wunderschöner alter deutscher Häuser zu entdecken.

Ich erinnere mich daran, wie wir als Kinder immer in diesen verfallenen Schlössern herumgeklettert sind und nach Schätzen gesucht haben. Denn viele Menschen mussten sehr kurzfristig fliehen und haben Wertsachen zurückgelassen. Immer wieder findet jemand altes Porzellan oder Schmuck.

Es ranken sich auch sehr viele Mythen um die Umgebung, etwa das Gerücht vom goldenen Zug: Demnach wurde Ende des Zweiten Weltkrieges in der Nähe von Waldenburg (Wałbrzych) ein Zugwaggon voller Gold und Schmuck versteckt – angeblich ist das der verschollene Schatz von Breslau. Noch heute suchen Menschen in den Wäldern danach.

Training im Pool: Der Teilnehmer eines Jugendcamps in Deep (Mrzeżyno) taucht mit Gewehr

Ihre zweite Bildserie, „Niewybuch“, zeigt Kinder, die in Militärcamps Krieg spielen. Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Es ist sehr populär geworden, dass Eltern ihre Kinder in Sommer- oder Wochenendcamps schicken, wo sie militärisch gedrillt werden. Ich finde es schwierig, Kinder mit Waffen auszubilden, die überhaupt nicht zu ihrem Alter passen. Damit wollte ich mich auseinandersetzen.

Einige der Bilder sind martialisch. Sie zeigen bewaffnete Kinder in Uniform. Wie hat es sich für Sie angefühlt, solche Szenen zu fotografieren? 

Mich hat die Recherche sehr berührt, teilweise habe ich mich wirklich wie im Krieg gefühlt. Ich musste beim Fotografieren eine Schutzbrille tragen. Wenn die Kinder im Wald schießen, kann man sich verletzen, auch wenn es nur Plastikkugeln sind. Sie haben sehr ernsthaft trainiert, niemand ist dabei aus der Rolle gefallen.           

Junge Teilnehmende eines militärischen Sommercamps in Deep (Mrzeżyno) bei einer Übung

Welche Rolle spielt militärische Bildung im polnischen Schulsystem? 

Das „kämpfende Kind“ wird in Polen seit Langem heroisiert. Schon zu meiner Schulzeit spielte es im Geschichtsunterricht eine wichtige Rolle, dass während des Zweiten Weltkriegs auch Kinder für die Nation gekämpft haben.

Aber seit die PiS-Partei an der Macht ist, kommen deutlich mehr nationalistische Inhalte in der Schule vor. Das Militär und eine militärische Ausbildung werden sehr positiv dargestellt, was sicherlich auch den Reiz von solchen militärischen Sommercamps ausmacht. Mich irritiert das.